Retro der Woche 13/2013

Gelegentlich nutzen Komponisten “Spezialregeln”, um ihre Aufgaben korrekt zu bekommen; speziell in den Frühzeiten des Problemschachs waren Forderungen wie “Matt in 26 Zügen, ohne einen Bauern zu ziehen” gar nicht so selten. Wenn dies nicht einfach nur dazu diente, Nebenlösungen auszuschalten, sondern wesentlich zum Inhalt der Aufgabe beitrug, war dies natürlich von ganz anderer Qualität.

So ist auch heute die Einschätzung der Verwendung von Märchenbedingungen nicht nur in der Retroanalyse, sondern auch in Vorwärtsproblemen: Die Bedingungen müssen inhaltlich gerechtfertigt sein.

Die sehr einfach zu verstehende Bedingung “Duellantenschach” (Definition aus dem Schwalbe MärchenlexikonDer einmal gewählte Stein des Startzuges einer Partei muss auch alle folgenden Züge seiner Partei bestreiten. Ist dies nicht mehr möglich, bringt ein neuer Startzug einen neuen Duellanten ins Spiel. Die Schachwirkung aller Steine bleibt normal erhalten.) kann natürlich dazu “missbraucht” werden, einfach Duale zu vermeiden. Sie kann aber natürlich auch thematisch genutzt werden, beispielsweise um Ablösungen zu thematisieren.

Dies habe ich vor einiger Zeit in einer Beweispartie versucht; allzu schwer sollte sie nicht zu lösen sein.

Thomas Brand
8706 feenschach 2002, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 9,5 Zügen, Duellantenschach (15+16)

Bei Schwarz haben, das sieht man schnell, neun verschiedene Steine gezogen — also hat es nach jedem schwarzen Zug einen Duellantenwechsel gegeben, und damit ist auch das Thema der Aufgabe schon klar. Nun gilt es also “nur” noch, einerseits die Reihenfolge der Duellantenwechsel zu finden und dafür die Begründungen zu entdecken.
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Matt durch den König

Schon im letzten Retro der Woche haben wir gesehen, dass es unter bestimmten (Märchenschach-)Bedingungen möglich ist, dass ein König seinen Widerpart mattsetzen kann. Im Anticirce ist dies natürlich auch bei Verteidigungsrückzügern möglich, wobei es ganz unterschiedliche Wege gibt, dies zu erzwingen.

Wolfgang Dittmann hat nun die Möglichkeiten hierfür systematisch untersucht und in einem Aufsatz mit 10 Beispielaufgaben dargestellt. Ich freue mich riesig (und bin ehrlich gesagt ziemlich stolz darauf), dass er mir diesen Artikel zur Veröffentlichung hier im Blog überlassen hat! Wolfgang, nochmals ganz herzlichen Dank dafür! Und mein Dank geht auch an Günther Weeth, der den Artikel ins Englische übersetzt hat, so dass er auch über den deutschen Sprachraum hinaus die Aufmerksamkeit erlangen kann, die er verdient.

Den Artikel Der König setzt matt! Anticirce-Tricks im Verteidigungsrückzüger kann ich nur jedem zur Lektüre empfehlen: Den Spezialisten wegen der systematischen Darstellung, den Noch-nicht-Spezialisten, jedem Retrofreund allein schon wegen der gut kommentierten und erläuterten Aufgaben: Sicherlich eine der besten Möglichkeiten und Gelegenheiten, sich ein wenig in das Thema “Anticirce-Procas” einzuarbeiten — etwas Mühe ist da am Anfang schon erforderlich, aber es lohnt sich.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Retro der Woche 11/2013

In seinem Aufsatz “Beckmesser versus Stolzing Reflexionen zur Legalität unter der Anticirce-Bedingung” (feenschach 144, November-Dezember 2001, S. 275-277) beschäftigte sich Klaus Wenda mit Fragen der Legalität von Stellungen in Märchenschachaufgaben am Beispiel der Anticirce-Bedingung.

Bei Anticirce wird der Schläger (nicht das Schlagopfer wie beim “normalen” Circe)  circensisch auf sein Feld in der Partieausgangsstellung zurückversetzt, der geschlagene Stein verschwindet. Ist dieses Feld besetzt, ist der Schlag nicht möglich. Ein schlagender wK erscheint also auf e1, eine schlagende sD auf d8. Beim Läufer ist das Ursprungsfeld aufgrund seiner Felderfarbe klar, bei Türmen und Springern nimmt man die Farbe des Zielfelds als Kriterium: Schlägt ein sT also nach b3, so wird er auf a8 “wiedergeboren”, bei einem Schlag nach b4 würde er auf h8 wiedererstehen. Für Bauern bestimmt die Reihe ihres Schlages das Wiedererstehungsfeld: Bei e4xd5 kommt der weiße Bauer also nach d2 zurück.

Nach dieser Definition ist unklar, ob ein Stein auf ihr Ursprungsfeld schlagen darf: Ist dies verboten (“Das Ursprungsfeld ist ja besetzt”), so spricht man vom “Typ Cheylan”; ist dies erlaubt (“Das Ursprungsfeld wird durch den Schlag ja frei”), so spricht man vom “Typ Calvet”.

Aus diesen Regeln ergibt sich z.B. dass eine Stellung wBe6, sBe4 illegal ist, d.h. unter Anwendung der Anticirce-Regel nicht erspielt werden kann (warum?).

Für “Vorwärtsspiel”-Aufgaben ist das eigentlich nicht wichtig, da “Legalität” von Stellungen normalerweise bei Märchenaufgaben nicht betracht wird. Anders aber ist es natürlich bei Märchen-Retros! Und dort können solche Fragen gar thematisch werden.

Dies wollte Klaus Wenda in seinem erwähnten Aufsatz an Hand eines “kleinen Schemas” in Form eines Verteidigungsrückzügers vom Typ Proca zeigen.

Klaus Wenda
KW/3v 144 feenschach 2001, Lob
S#1 vor 2 Zügen, VRZ Proca, Anticirce Typ Cheylan (6+3)

sKa1 steht nicht im Schach, da d1 besetzt ist (also kein Dame-Schach) und auch a1 besetzt ist (Typ Cheylan, kein Turmaschach).
Der weiße König ist im Retrospiel auf e1 sehr mächtig, da er überall auf dem Brett einen beliebigen Schlagzug zurücknehmen kann (, nach dem er dann auf e1 gelandet ist).

Nun werden also drei Einzelzüge zurückgenommen (Weiß, Schwarz, Weiß), nach denen Weiß sein Selbstmatt erzwingen will. Und das geschieht so:
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Chess960 update

Vor einem Monat hatte ich den Einführungsartikel zu Chess960 von Per Olin hier veröffentlichen können; nun hat Per einige Updates vorgenommen, dass er exklusiv hier publiziert:

  • Austausch einer defekten Aufgabe
  • Neue Angaben zum Computer-Testen von Chess960 Beweispartien

Die neue Version steht unter der “alten URL” hier als pdf-Datei zum Download zur Verfügung.

Chess960

Am 3. Dezember hat Per Olin in der Retro Mailing List (hier kann man sich anmelden) einen Artikel über Chess960 veröffentlicht; er hat mir freundlicherweise gestattet, ihn hier im Blog bereitzustellen.

Chess960 wurde 1996 vom früheren Schachweltmeister Bobby Fischer eingeführt, es unterscheidet sich vom “normalen” Schach nur durch eine geänderte Partieausgangsstellung, die unter Berücksichtigung gewisser Randbedingungen (Läufer stehen auf Feldern unterschiedlicher Farbe, der König steht zwischen den beiden Türmen) vor der Partie ausgelost wird. Dass es hierfür genau 960 mögliche Partieanfangsstellungen gibt, liegt bei dem Namen sicherlich nahe.

Die Regeln speziell zur Rochade werden im Anhang F der FIDE Schachregeln erläutert — man könnte Chess960 also als “orthodox” bezeichnen?!

Natürlich berühren die speziellen Regeln — von Rochaden abgesehen — normale Schachprobleme kaum, bieten allerdings für die Retroanalyse interessante Themen und Fragestellungen. Auf einige geht Per in seinem Artikel ein, den ich allen sehr empfehlen kann, auch wenn er auf englisch verfasst wurde — für mich zum Glück jedoch nicht auf finnisch!

Viel Spaß beim Lesen, vielleicht kommt euch ja die eine oder andere Idee für die Beschäftigung mit Chess960? Wer weiß übrigens, ob es bereits Chess960 Circe-Aufgaben gibt? Das könnte ich mir auch recht interessant vorstellen!

Retro der Woche 49/2012

Die nächsten beiden Hefte von feenschach wären in der letzten Woche versandt worden, wenn nicht dem Buchbinder ein Versehen unterlaufen wäre: Er hat nämlich die Umschläge um die falschen Hefte geklammert. Nun müssen sie wieder entfernt und neu angebracht werden, wodurch sich der Versand noch um ein paar Tage verzögern kann.

Heft 193 enthält einen ausführlichen Bericht vom diesjährigen Andernachtreffen, darunten natürlich auch die Preisberichte zu den dortigen Kompositionsturnieren.

Eines davon forderte Märchenschach-Beweispartien im “Kampf gegen die Bedingung”, also etwa besonders kurze Züge im Längstzüger, Wiedergeburtsvermeidung in Circe — halt das genaue Gegenteil des Üblichen, Erwarteten.

Es gewann eine Madrasi-Beweispartie von Michel Caillaud (Madrasi: Wird ein Stein (außer König) von einem gleichartigen Stein des Gegners beobachtet, wird er gelähmt und verliert während der Beobachtung jede Zugmöglichkeit und Wirkung außer seinerseits gegnerische gleichartige Steine zu lähmen. Eine Rochade (=Königszug) mit einem gelähmten Turm ist möglich.), in der es um Lähmungsmeidung geht.

Michel Caillaud
Andernach 2012, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen, Madrasi (14+14)

Wie kann die Läufer-Konfiguration im Nordwesten entstanden sein? La6-b7 scheidet wegen der Lähmung des weißen Läufers aus, er kann auf b7 auch nicht geschlagen haben, da alle Schläge durch Bauern geschahen.
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