Retro der Woche 13/2025

Nachdem wir uns in den letzten Wochen hier intensiv mit ziemlich neuen Aufgaben beschäftigt hatten, wollen wir heute auch zeitlich einen echten “Blick zurück” werfen: Das Jahr 1972 — ich kann mich noch gut an die olympischen Spiele in München erinnern, an die wirklich fröhlichen Spiele bis zu dem grausamen Attentat auf das israelische Olympiateam, bis zu dessen schreckliches Ende in Fürstenfeldbruck.

In diesem Jahr, in diesem September erschien das heutige Stück, dessen eigentliche Geschichte aber noch weiter zurückgeht.

Josef Haas und Karl Fabel
The Problemist 1972
#1 vor 35 Zügen, Hilfsretraktor (11+12)

 

Hier spielen also Weiß und Schwarz abwechselnd Züge zurück, sodass nach der 35. Rücknahme von Weiß dieser einzügig Matt setzen kann. Und Schwarz hilft mit seinen Rücknahmezügen dabei, solch eine Stellung herbeizuführen.

Wir sehen gleich, dass Schwarz mit der Rücknahme beginnen muss, da der weiße König im Diagramm im Schach, sogar matt ist. Also nimmt Schwarz Tc7-c8# zurück — kann er dabei auf c8 geschlagen haben?

Zunächst einmal sehen wir, dass sowohl Weiß als auch Schwarz viermal mit ihren Bauern geschlagen haben: Schwarz bxc, dxc und fxexd, Weiß b2xc3xd4xe5 und h5xg6.

Dabei kann der [Ba2] nicht durch einen Bauernschlag verschwinden, er kann auch selbst nicht geschlagen oder schlagfrei umgewandelt haben — er wurde also von einem schwarzen Offizier geschlagen, und damit sind alle fehlenden Steine geklärt.

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Retro der Woche 11/2025

Zum WCCI 2022-2024 werden natürlich auch eine Menge Märchenretros eingeschickt, auch einige, die je nach Ansicht des Richters unter Märchen fallen oder nicht. Manche rechnen Einfärbe-Retros zu den Märchen, für mich ist das eine klassische Forderung — nicht im Sinne von “mindestens 100 Jahre alt”, sondern eine Fragestellung, die sich gemäß der orthodoxen Schachregeln retroanalytisch beantworten lässt — auch wenn das Diagramm natürlich nicht besonders orthodox ausschaut.

Dimitrij Baibikov
Phénix 2024
Färbe die Steine! Letzte 27 Einzelzüge (30)

 

Speziell bei der Ableitung der Argumente für die Einfärbung orientiere ich mich stark an der vom Autor angegebenen Lösung.

Alle 16 Bauern stehen im Diagramm, es gab also keine Umwandlungen. Auf der b- und der f-Linie stehen je drei Bauern; daher wurden die beiden fehlenden Steine von Bauern auf diesen Linien geschlagen. Auf den c-, d-, e-, h-Linien gab es keine Schläge (es fehlen nur zwei Steine), also sind die Bauern c3, d2, e2, h2 weiß und c4, d6, e7, h5 schwarz.

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Retro der Woche 09/2025

Bei den Einsendungen zum WCCI, der „Kompositions-Einzelweltmeisterschaft“ der Jahre 2022 bis 2024 überwiegen bei den Retros nicht wirklich überraschend die Beweispartien. Natürlich gibt es auch eine Menge Märchenretros zu beurteilen — nicht nur Anticirce-Procas! Und sehr erfreulich finde ich, dass auch gar nicht so wenige sehr schöne „klassische“ Auflöse-Retros dabei sind.

Eines davon, das der eine oder andere von euch sicherlich schon in der Schwalbe gesehen hat, möchte ich heute vorstellen und euch dabei zum Selbst-Lösen einladen, denn ich glaube, das ist genau dazu sehr gut geeignet.

Andrij Frolkin
Die Schwalbe 2022, Lob
Löse die Stellung auf (12+15)

 

Schauen wir zunächst nach der Schlagbilanz: Bei Schwarz fehlt genau der [Bh7]; Weiß hat axb geschlagen, also sicher nicht diesen fehlenden Bauer. Das muss sich also (auf g1 ) umgewandelt haben. Dann kommt sBc5 offensichtlich von e7, sodass nur noch ein Schlag durch Schwarz offen ist. Es fehlt bei Weiß noch [Bf2] – und der wurde auf der f-Linie geschlagen.

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Retro der Woche 06/2025

Vor einiger Zeit schon hatte ich mich bereit erklärt, als einer der fünf Richter der Retroabteilung des 12. WCCI (World Championship in Composing for Individuals) für die Jahre 2022 bis 2024 zu fungieren. Vor einigen Tagen erhielt ich die 126 (!) Aufgaben von 28 Teilnehmern, die ich nun in den kommenden Wochen „à la FIDE-Album“ bewerten muss.

Das Gute daran ist natürlich, dass ich dabei auch einige Aufgaben entdecke, die ich euch hier vorführen kann – und damit will ich gleich heute beginnen.

Vidmantas Satkus
Champagne-Turnier Batumi 2023, 2. Preis
Hilfsmatt in 2 Zügen, (11+15)

 

Wenn solch eine Aufgabe in einem Retro-Turnier auftaucht, ist es vielleicht ganz sinnvoll, anstatt sogleich mit Löseversuchen zu beginnen, die Stellung genauer zu betrachten. Beginnen wir also mit den Schlagfällen.

Schwarz fehlt nur ein Bauer, Weiß hat den fehlenden schwarzen Stein mittels axb geschlagen – das Schlagopfer kann kein Bauer gewesen sein. Also muss sich der fehlende Bauer umgewandelt haben.

Bei Weiß fehlt von jeder Steinart jeweils ein Vertreter, wir sehen aber nur zwei schwarze Doppelbauern im Diagramm. Nehmen wir einfach an, deren Schläge seien cxd und exf gewesen. Macht euch bitte am Ende unserer Überlegungen klar, dass die genauso bleiben, wenn gxf geschehen sein sollte. Also sind noch drei Schläge frei?

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Retro der Woche 03/2025

Die Aufgabe, die ich heute vorstelle, hatte ich für den 2. Februar eingeplant – zum 80. Geburtstag des Verfassers. Nun ist Henrik Juel am 3. Januar verstorben – und so wird aus der Feieraufgabe ein Erinnerungsstück.

Henrik Juel
Thema Danicum 1997, 2. Preis
Ergänze einen Stein! Letzter Zug? (8+9)

 

Kaum zu glauben, dass die beiden Fragen eindeutig bei diesem Kindergarten-Problem (neben den Königen sind nur Bauern auf dem Brett – ein Begriff, den Peter Kniest eingeführt hatte) beantwortet werden können.

Machen wir uns zunächst einmal Gedanken über die erforderlichen Schläge: Wir sehen sieben schwarze Schläge mit seinen Bauern: d7xe6, g7xf6, h7xg6xf5xe4xd3xc2. Zusätzlich Wurde Lc1 zu Hause geschlagen, somit sind alle fehlenden weißen Steine erklärt. Damit ist übrigens auch schon klar, dass wir nur einen schwarzen Stein einsetzen können!

Bei Weiß sehen wir direkt drei Bauernschläge, die wir auch ziemlich genau verorten können: hxg3, exd3 sowie cxd. Wie konnte denn der fehlende [Ba2] verschwinden? Er musste sich auf d8 umwandeln, um sich anschließend schlagen zu lassen. Damit haben wir das Ceriani-Frolkin-Thema schon jetzt erkannt.

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Retro der Woche 02/2025

Eine meiner Lieblings-Märchenbedingungen ist „monochromes Schach“: Weil einerseits die Bedingung quasi mit einem Satz erklärt werden kann („Es sind stets nur Züge erlaubt und legal, deren Ausgangs- und Zielfeld von gleicher Farbe sind; Rochaden gelten als Königs- und Turmzug.“), sie gleichzeitig aber unglaublich tiefsinnige Aufgaben erlaubt.

Gerade „monochrome Retros“ besitzen häufig in „einfacher“ Stellung unerwartete Tiefe, wie vor allem die Spezialisten Thierry Le Grleuher und René J. Millour schon vielfach gezeigt haben. Heute möchte ich ein solches Stück aus dem 2022er Retro-Preisbericht der Schwalbe vorstellen.

Thierry Le Gleuher
Die Schwalbe 2022, 2. ehrende Erwähnung
Wo wurde sTa8 geschlagen? Monochromes Schach (8+5)

 

Aus der Definition ergibt sich beispielsweise sofort, dass Springer nie ziehen können, dass eine lange Rochade niemals möglich ist, dass ein Bauer mindestens vier Schläge bis zur Umwandlung benötigt.

Auch für Türme können wir wichtige Aussagen treffen: Weiße Türme können nur auf ungerade, schwarze nur auf gerade Reihen ziehen, bei Umwandlungstürmen ist es genau anders herum. Wir können also im Diagramm für jeden Turm eindeutig entscheiden, ob er durch Umwandlung entstanden oder der Originalstein ist.

So fällt hier also sofort auf, dass wTg4 erwandelt wurde, was allein schon vier Bauernschläge auf weißen Feldern erfordert hat.

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Retro der Woche 01/2025

Nachdem wir uns in der letzten Woche mit dem ersten Preis der Abteilung B (Retraktoren und andere Typen) des Schwalbe-Retro-2022-Preisberichts beschäftigt hatten, möchte ich euch heute den ersten Preis der Abteilung A (Beweispartien) vorstellen. Und typisch für den Autor: Ein ziemlich kurzes, aber sehr inhaltsreiches Stück; das kann ich euch schon versprechen.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2022, 1. Preis
Beweispartie in 18 Zügen (13+13)

 

Unsere übliche Zählung der sichtbaren Züge ist bei Weiß schon beendet, bevor sie begonnen hat (Homebase); Bei Schwarz sehen wir 3+2+2+3+2+6=18 Züge – alle sind erklärt!

Und damit können wir schon eine Menge von der Lösung erschließen: Auf alle Fälle sind die Züge der schwarzen zwei Läufer, der Dame und des Springers sowie aller schwarzen Bauern erklärt.

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Wiederholte Pronkins

Update 29.12.24: Kleiner Fehler in der Forderung der 2 korrigiert.

Wenn sich zwei Koryphäen wie Andriy Frolkin und Michel Caillaud zusammentun, um ein Thema zu erforschen, kann man hervorragende Ergebnisse erwarten. Und so auch hier:

Die beiden haben sich mit dem Pronkin-Thema beschäftigt: ein nicht allzu ungewöhnliches Thema — zumindest nicht in Beweispartien. Hier aber haben sie sich auf klassische Auflöse-Aufgaben konzentriert, und dabei auf die Darstellung des Themas so, dass der “Pronkin-Stein” sein Ursprungsfeld mehrfach betritt; dies ist auch in Beweispartien nicht allzu häufig zu sehen.

Auf dem Gebiet der klassischen Retroanalyse ist das Pronkin-Thema noch ziemlich wenig erforscht; irgendwann wurde beiden klar, dass das “intensivierte Pronkin-Thema” neue Horizonte öffnen könnte. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen stellen sie uns hier vor.

Andriy und Michel herzlichen Dank dafür — und euch allen viel Spaß beim lesen und studieren!