Retro der Woche 40/2020

„Zwölfender“ sind in der Natur sehr kapitale und auffällige Hirsche – und auch im Problemschach fallen „Zwölfender“ auf, hier sind sie gar noch deutlich seltener als in der freien Wildbahn. So konnte in den Jahren zwischen 1980 und 2000 nur ein einziger Retro-Zwölfender entdeckt werden.

Gemeint sind hier natürlich Aufgaben, die im FIDE-Album 12 Punkte bekommen haben – also von allen drei Preisrichtern die prinzipiell sehr selten gezogene Höchstnote von 4 Punkten.

Diesen Zwölfender möchte ich euch heute hier zeigen.

Michel Caillaud
Strate Gems 1999, 1. Preis
Löse die Stellung auf! (15+13)

 

Bei Weiß fehlt nur ein Springer; der wurde offensichtlich mittels gxSf6 geschlagen. Demnach ist auch klar, dass bei Schwarz [Ba7], [Bh7] sowie [Dd8] fehlen, die Bauern können nicht geschlagen haben. Bei Weiß sehen wir die Schläge a5xXb6 und d5xYc6: sBb5 und sBc5 können ja nicht geschlagen haben. Damit sind auch die Schläge der fehlenden schwarzen Steine klar: [Bh7] wurde irgendwo auf der h-Linie geschlagen, ein schwarzer Offizier (evtl. die Dame) starb auf b6, und anschließend wandelte [Ba7] schlagfrei auf a1 um, um entweder den auf b6 geschlagenen Stein zu ersetzen oder sich selbst auf c6 zu opfern.

Die Stellungsöffnung kann nur durch R Td2-e2 oder R Tg5-g4 eingeleitet werden; beide Züge gäben im Moment aber illegales Retroschach. Schwarz hat im Moment nur einen Rücknahmezug (Bd7-d6); La2-b1 ist nur mit einem Schachschutz auf der Diagonalen möglich. Aber wir ahnen es schon, dieses Manöver werden wir häufiger im Laufe der Lösung benötigen.

Weiß hat (neben R g5-g6) im Moment nur den Sa6 für Zugrücknahmen, denn Ba5xXb6 können wir im Moment noch nicht zurücknehmen: [Ba7] muss erst auf a1 entwandeln und schlagfrei mindes-tens bis a6 zurückgezogen haben.

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Letzter Zug?

Dass noch Rekorde für das Konstruktionsthema „letzter Zug“ unterboten werden, ist sehr selten, besonders für die Typen A (es wird nicht gesagt, wer am Zug ist, keine Partei steht im Schach) und B (es wird gesagt, wer am Zug ist, keine Partei steht im Schach).

2012 unterbot Andrew Buchanan einen damals 55 Jahre alten Rekord durch Einsparen eines ganzen Steines – das war eine Sensation, und das veranlasste das Richterteam Brand/Gruber/Ring, dafür einen Spezialpreis zu vergeben.

Andrew Buchanan
feenschach 2012, Spezialpreis
Letzter Zug? Typ B Schwarz am Zug (2+6)

 

Dieser Typ von Aufgaben ist im Rekordsinne meist schwer zu bauen, aber sehr einfach zu lösen. Das sollte auch hier rasch gehen… Trotzdem bringe ich hier in etwa einer Woche wie gewohnt die Lösung.

Lösung

R 1.Da7-a8

Der König kann nicht zurücknehmen: 1.Kb5-c6? Ba7-a6+ illegale Stellung. R 1.Ba7-a8=D? verhindert eine Öffnung des Nordwestknotens, ebenso Da7xXa8.

Der alte Rekord war:

V. Bartolović, R. Buljan, L. Loewenton, Zd. Maslar
problem 1957, 1.-3. Ehrende Erwähnung
Letzter Zug? Typ B Schwarz am Zug (7+2)

Retro der Woche 36/2020

In den letzten Wochen habe ich, auch in „Geburtstags-Beiträgen“, gelegentlich Hilfsrückzüger vorgestellt: Hier gilt es, Züge zurückzunehmen, sodass eine Vorwärtsforderung erfüllt werden kann, dabei kooperieren bei der Rücknahme Schwarz und Weiß, auch wenn sich im Vorwärtsspiel Schwarz verteidigen will.

Gelegentlich wird nur die Rücknahme eines weißen Zuges gefordert; hierbei kommt der „Hilfe“-Aspekt durch Schwarz natürlich nicht zum Tragen, dennoch verwendet man auch hier diesen Begriff, da Weiß hier aus retroanalytischer Sicht mehrere Rücknahmen zur Verfügung stehen, aber nur eine die Realisierung der Vorwärtsforderung erlaubt.

Walentin M. Filippow
Problem 1972, 1. Lob
-w, dann #2 (8+10)

 

Solch ein Stück wollen wir uns heute anschauen. Wäre Weiß nun in dieser Stellung am Zuge, könnte er 1.Lxa7 ~ 2.b8=D# versuchen – das aber scheitert an 1.— 0-0! Das bringt uns auf den Gedanken zu überlegen, wie wir die schwarze Rochade retroanalytisch verhindern können?

Da könnte wLb8 ein Ideengeber sein: Wenn wir nachweisen könnten, dass er Umwandlungsläufer ist, können wir vielleicht zeigen, dass er dann auf h8 entstanden ist – das würde erfordern, dass [Th8] bereits gezogen und damit das Rochaderecht verwirkt hätte. Also sollten wir zeigen können, dass vor kurzer Zeit auf d2 noch ein weißer Bauer gestanden hat.

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Retro der Woche 34/2020

Am letzten Donnerstag habe ich hier Günther Weeth zum Geburtstag gratuliert, und heute möchte ich noch eine Aufgabe von ihm vorstellen. Dazu habe ich eine schon etwas ältere herausgesucht, die zeigt, dass Günther sich schon lange auch mit klassischen Retros beschäftigt.

Günther Weeth
Die Schwalbe 1993
-(s+w) +#1, Hilfsrückzüger (14+7)

 

Erst Schwarz, dann Weiß nehmen also einen Zug zurück, sodass Weiß in seinem Vorwärtszug mattsetzen kann – natürlich unter Berücksichtigung der Legalität der Züge.

Begeben wir uns also, wie wir das auch beim Lösen eines Hilfsmatts tun würden, auf die Suche nach dem möglichen Mattbild: Könnte c2 gedeckt werden, könnte Txe3# erfolgen – aber dafür brauchte es zwei weiße Rücknahmen – das funktioniert also nicht.

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Retro der Woche 33/2020

Nachdem es hier in der letzten Zeit wieder viele Beweispartien zu sehen gab, möchte ich heute wie schon am letzten Sonntag wieder ein klassisches Auflöse-Retro vorstellen.

Bei dem Autor mögt ihr vielleicht vermuten, dass es besonders schwer sei: Das ist es aber nicht, das solltet ihr selbst einmal versuchen – schon um anschließend stolz sagen zu können, ihr hättet „einen Beluchow“ gelöst…

Nikolai Beluchow
Die Schwalbe 2009, 3. Lob
Löse auf! (14+14)

 

Auf beiden Seiten fehlen zwei Steine: Bei Weiß ist es [Ba2] und [Bf2], bei Schwarz sind es [Lc8] und ein Springer. Schwarz hat keine Doppelbauern –- also wurden entweder beide fehlenden weißen Steine von schwarzen Bauern geschlagen oder keiner. Ferner erkennen wir im Diagramm einen weißen Schlag, nämlich e2xd3.

Können die fehlenden weißen Steine von Bauern geschlagen worden sein? Nein, denn im letzten Zug muss die schwarze Dame geschlagen haben. [Ba2] scheidet als Opfer aus, denn dann hätte sTa1 wegen des eingesperrten wLc1 niemals sein Diagrammfeld erreichen können. Alles dreht sich nun darum, welcher Stein denn auf a2 entschlagen wurde -– und dieser Entschlag impliziert ja eine Umwandlung.

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Retro der Woche 32/2020

Nachtrag vom 3. Oktober 2020: Im endgültigen Bericht zum 8. FIDE World Cup wurde diese Aufgabe mit dem 2. Preis ausgezeichnet; in der Quellenangabe habe ich dies angepasst.

In der letzten Woche hatte ich den ersten Preis in der Retroabteilung des 8. FIDE Worldcups vorgestellt; heute möchte ich euch die erste ehrende Erwähnung zeigen, ein klassisches „Löse auf“ Stück, das mir recht gut gefällt, das ich, aber das ist reine Geschmacksache, vielleicht sogar etwas weiter nach oben gesetzt hätte.

Dmitrij Baibikov
8. FIDE Worldcup 2020, 2. Preis
Löse die Stellung auf (12+14)

 

Bei Schwarz fehlen nur [Bg7] und [Bh7], bei Weiß ebenfalls zwei Bauern auf den Königsflügel, zusätzlich ein Springer und [Lc1]. Und gerade dieser Läufer ist besonders wichtig: Er muss nach Hause kommen, damit Weiß mit der Rücknahme von b2-b3 den mächtigen Knoten im Nordwesten auflösen kann.

Keine Doppelbauern sind im Diagramm auszumachen, und doch sehen wir schnell, dass Schwarz auf a und b überkreuz geschlagen haben, denn anders kann das Matt durch sBa6 nicht zustande gekommen sein.

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Einfache, aber sehr hübsche Darstellung

… des xyz-Themas. Das schrieb Preisrichter Josef Kutscher im Preisbericht der Schwalbe-Retros 2003 zur heutigen Aufgabe. Sie erfordert ein wenig klassische Retroanalyse, aber ist sicherlich im Schatten auf der Terrasse oder dem Balkon sitzend prima lösbar — und welches Thema meinte der Preisrichter? Viel Spaß!

Alexander Jarosch
Die Schwalbe 2003, 2. Lob
Zeige, dass eine Rochade ausgeführt wurde (14+9)

 

Wie immer findet ihr in etwa einer Woche hier die Lösungen!

… Und hier ist sie nun; ich habe sie dem Preisbericht aus Die Schwalbe 211, S. 15 entnommen:

Lösung

Nach 1.f5:e6 e.p.++ e7-e5 zeigt sich, dass der sLf8 auf f8 geschlagen wurde und der wLf8 der umgewandelte a-Bauer ist. Dieser benötigte die übrigen schwarzen Schlagobjekte, also auch den Bf7, der sich nicht umwandeln konnte, weshalb wBe6:Bf7-f8L geschehen musste (und davor sK-h8). Die Rückkehr von sK und sT ist danach nur noch mit der Rochade möglich. Das Retrospiel verläuft also etwa folgendermaßen: 1.f5:e6 e.p.++ e7-e5 2.Se5-c4+ Kf7-f6 3.S-e5+ Kg8-f7 4.- Kh8-g8 5.f7-f8L Tf8-e8 6.Be6:Bf7 Kg8-h8 7.- 0-0 Einfache, aber sehr hübsche Darstellung des Valladao-Tasks (e.p.-Schlag, Umwandlung und Rochade)!

Retro der Woche 24/2020

Rekordkonstruktionen zur Darstellung besonders sparsamer Stellungen mit eindeutigem letzten oder auch ersten Zug eines bestimmten Steines sind häufig technisch beeindruckende Aufgaben, die aber kaum Anreiz zum Lösen verbreiten, da sie aus Lösersicht schnell zu durchschauen sind.

Besonders reizvoll finde ich solche Aufgaben, die technische Brillanz und Lösespaß miteinander verbinden; eine solche Aufgabe möchte ich euch heute vorstellen.

Johannes M. Ott
feenschach 1982
Erster Zug des wTc8? (5+11)

 

Rasch erkennt man, dass der weiße König nur über g6-f7-e8 ins schwarze Lager gelangen konnte. Das schließt die Rücknahme von h6-h7 und von f7xXe6 erst einmal vollständig aus.

Der schwarze König kann im letzten Zug nicht einfach von d8 (illegales Doppelschach) oder von e8 (davor ging nicht d7xc8=T wegen illegalen Schachs durch den d7-Bauern) kommen. Weiß hat also zuletzt gezogen, R: 1.Te8*c8. Um Schwarz einen vorigen Zug zu geben, muss dieser Zug ein Schlag, und der muss dann Te8xD/Tc8 gewesen sein.

Nun gilt es festzustellen, ob Dame oder Turm das Schlagopfer war?!

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