Retro der Woche 40/2024

Auch wenn ich erst vor drei Wochen hier ein Auflöse-Retro von Luigi Ceriani (23.1.1894–8.10.1969) vorgestellt habe, so ist er hier im Blog bezogen auf die Qualität seiner Aufgaben und seiner Bedeutung für die Entwicklung der Retroanalyse im mittleren Drittel des 20. Jahrhunderts stark unterrepräsentiert. Daher will ich heute und in der kommenden Zeit noch einige „Cerianis“ vorstellen.

Ja, manche seiner Stücke sind hochkomplex und würden den üblichen Raum- und Zeitrahmen dieses Blogs sprengen, aber natürlich gibt es auch leichter zu verstehende und einfacher zu lösende Stücke von ihm – die sich trotzdem nicht unbedingt für eine Drei-Minuten-Löse-Pause eignen würden.

Ich hoffe, dass euch das Stück, das ich für heute ausgesucht habe, euch ebenso wie mir gut gefällt – und es auch ein wenig die „Angst, einen Ceriani zu lösen“ nimmt!

Luigi Ceriani
32 personaggi e 1 autore 1955
Wer ist am Zug? (11+11)

 

Das heutige Stück entstammt einem seiner beiden im Selbstverlag veröffentlichten Bücher: Das Monumentalwerk „32 personaggi e 1 autore“ aus dem Jahre 1955 sowie die Fortsetzung (auch mit vielen Korrekturen und Ergänzungen zu den „32 personaggi“) aus dem Jahr 1961 „La Genesi delle Posizioni“. Beide Bände sind in blauem Leinen gebunden und überraschen optisch beim ersten Blick hinein durch den deutlich sichtbaren Schreibmaschinensatz und die ins Manuskript eingestempelten Diagramme. Der Text ist in italienischer Sprache verfasst: Stimmt, hier ist vielleicht derjenige im Vorteil, der in seiner Schulzeit Lateinunterricht genossen hat, aber „zur Not“ helfen auch ein Scanner (etwa im Smartphone) und Übersetzungsprogramm.

Aber worum geht es im heutigen Stück? Allein die gestellte Frage zu beantworten – dafür hat man ja schon den „50:50 Joker“ – ist natürlich zu wenig; mit dieser simplen Forderung will Ceriani selbstverständlich nicht ein „Weiß“ oder „Schwarz“ haben, sondern der folgende, mit „weil“ eingeleitete Teil, ist viel wichtiger!

Beginnen wir wie üblich mit der Schlagbilanz: wBg4 und f3 kommen von e2 und f2, wBg6 von d2, und damit sind alle fünf fehlenden schwarzen Steine erklärt. Bei Schwarz kommt sBe6 offenbar von d7 und einer der beiden Bauern auf der f-Linie von h7, was drei Schläge erklärt – zusätzlich muss Schwarz noch [Bb2] und [Bc2] auf deren Linien geschlagen haben.

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Retro der Woche 38/2024

Bleiben wir heute doch bei den klassischen Auflöse-Aufgaben – heute ein Stück komplexer als in der letzten Woche, ein klasse Task. Nikolai Beluchow hatte das Stück „prinzipiell“ gebaut und dann an Henrik Juel und Andrej Frolkin geschickt, die jeweils ein paar Korrekturen und Verbesserungen vorschlugen – und schwupps war ein bemerkenswertes Drei-Männer-Werk entstanden, das dann im Schwalbe Jahresturnier sehr hoch ausgezeichnet wurde. Und auch der erste Preisträger des Turniers ist einen zweiten Blick wert.

Nikolai Beluchow, Henrik Juel & Andrej Frolkin
Die Schwalbe 2010, 2. Preis
Letzter Zug? (14+12)

 

Sofort fallen einige Umwandlungssteine auf: Zwei weiße Damen sehen wir auf dem Brett, ebenso zwei weißfeldrige weiße Läufer. Und auch der sLa1 muss durch Umwandlung entstanden sein.

Betrachten wir die Schlagbilanz, stellen wir zunächst fest, dass das nahe liegende sBc4xd3 und sBb3xc2 nicht funktionieren kann, da bei Weiß neben einem Springer auch der schwarzfeldrige Läufer fehlt. Also kommt sBc2 von c7. Also schlug Weiß auf c/d überkreuz und sBd3 kommt von e8. Weiß musste dann nach axb in einen Läufer und schlagfrei auf e8 in eine Dame umwandeln. Damit sind zusammen mit gxf7 alle weißen Schläge verbraucht, sodass [Bh7] nur verschwinden konnte, nachdem dieser sich auf g1 umgewandelt hatte – und damit sind auch alle schwarzen Schläge erklärt.

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Retro der Woche 37/2024

Häufig sind die Auflöse-Retros des Italieners Luigi Ceriani (23.1.1894–8.10.1969) besonders komplex, deshalb schwer zu lösen und gelegentlich auch nur für Retrospezialisten verständlich. Doch das gilt nicht für alle Aufgaben von ihm – und heute möchte ich euch explizit zum Lösen des klassischen Retros von ihm einladen: Das Stück ist weder schwer verständlich noch sonderlich schwer zu lösen, besonders nicht nach unseren Vorüberlegungen.

Luigi Ceriani
Die Schwalbe 12/1939, 1. Preis Eduard Birgfeld zum Gedenken
Welches war der erste Zug des sK? (10+12)

 

Eduard Birgfeld (12.9.1887–7.5.1939), Chefarzt und Krankenhausdirektor, war seit Ende 1927 Vorsitzender der Schwalbe und führte sie und ihre Zeitschrift (nach den Jahren im Funkschach) in der Zeit seines Vorsitzes bis zu seinem viel zu frühen Tod mit 51 Jahren zu ungeahnten Blüten; als Vorsitzender, als Schriftleiter und als Initiator des „International Problem Boards“, des direkten Vorläufers von PCCC und heute WFCC, hat er sich um die Schwalbe und das gesamte Problemschach extrem verdient gemacht.

In Cerianis vorliegender Aufgabe ist der schwarze König durch den Turm auf f7 eingeklemmt, und die Stellung lässt sich nur auflösen, wenn ein Schutzschild auf g8 die Rücknahme von Tf8-f7 ermöglicht; der Turm muss sich dann entschlagend entwandeln (c7xXd8=T), denn der Turm kann wegen des sLc8 nicht direkt in südliche Gefilde zurückkehren.

Damit haben wir schon einen weißen Schlagfall entdeckt; ein weiterer muss auf f8 erfolgt sein, um den schwarzen schwarzfeldrigen Läufer zu beseitigen. Und dann haben wir noch den offensichtlichen Schlag e2xf3, sodass noch ein weiterer Schlag, der dann durch eine weiße Figur erfolgen musste, frei.

Bei Schwarz ist die Schlagbilanz noch einfacher: sBe5 schlug von c7 aus zweimal, sBe2 von a7 kommend viermal, womit alle fehlenden weißen Offiziere erklärt sind.

Wie kann nun die Stellung aufgelöst werden?

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Retro der Woche 35/2024

Anfang des Monats war ich bereits kurz auf den damals noch vorläufigen Preisbericht des traditionellen Champagne Turnier beim WCCC in Jūrmala; nun liegt der komplette Preisbericht vor. Gefordert waren – zum Gedenken an Peter van den Heuvel — Retros, in denen ein Stein einem der anderen Farbe mindestens zweimal folgt, ausgeschrieben war es in zwei Gruppen (Beweispartien, andere Retros); Märchenbedingungen waren zugelassen.

In der zweiten Abteilung gab es (nur) fünf korrekte Bewerbungen. Den Preis vergab Richter Michel Caillaud an einen 33-zügigen Anticirce Proca-Retraktor von Vlaicu Crisan, Klaus Wenda und Andreas Thoma; ich möchte euch allerdings die ehrende Erwähnung von Andrej Frolkin präsentieren, die nicht so kompliziert ist.

Andrej Frolkin
Champagne-Turnier 2024, Abteilung B, Ehrende Erwähnung
Löse die Stellung auf (14+13)

 

Bei Schwarz fehlen drei Steine: die beiden Springer und [Lf8], die alle durch weiße Bauernschläge erklärt sind: g2xSh3, ferner schlug [Bc2] den anderen Springer sowie den Läufer. Bei Weiß fehlen die beiden Springer; der achte weiße Bauer hat sich in einen weißfeldrigen Läufer umgewandelt. Als Umwandlungsfeld steht nur a8 zur Verfügung.

Das bedeutet, dass [Ba7] und [Bb7] die beiden fehlenden weißen Springer geschlagen haben, sodass keine weiteren Entschläge im Rückspiel möglich sind.

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Retro der Woche 33/2024

In den letzten Wochen und Monaten sind hier in den Retros der Woche die klassischen Auflöse-Aufgaben etwas zu kurz gekommen, darum will ich hier etwas „aufholen“. In völlig anderem Zusammenhang bin ich kürzlich über den Retro-Preisbericht in The Problemist von Henri Nouguier (März 1996) gestoßen: Aus heutiger Sicht beinahe ungewöhnlich bei solch einem großen Turnier, dass nicht zwischen Beweispartien und „anderen Retros“ unterschieden wird, dass dort keine Märchenretros auftauchen, die damals im Problemist in der Fairy-Abteilung einsortiert waren.

Das am höchsten ausgezeichnete Stück dieses Turniers, das auch den Weg ins „FIDE-Album“ gefunden hat (H9 im Album 1992-1994) möchte ich heute mit euch anschauen.

Andrej Frolkin
The Problemist 1991-1992, 1. Preis
#1 (Wer?) (15+14)

 

Die naive Antwort auf die Frage in der Forderung lautet „Na ja, wer am Zug ist; ist das Weiß, dann Sa6#/Dxb7#/cxb7#, ist das Schwarz, dann Dg7#.“ Natürlich ist genau die Frage „Wer ist am Zug?“ die entscheidende für die Retroanalyse; dass nun für beide Seiten ein einzügiges Matt bereitliegt, ist für die Analyse der Stellung und die Lösung der Aufgabe eigentlich völlig irrelevant betont aber auch Sicht mancher die Nähe zum Normal-Schach.

Schauen wir uns zunächst einmal die Stellung genauer an: Bei Weiß fehlt nur [Ba2], der nicht umgewandelt haben kann, aber auch nicht von einem schwarzen Bauern geschlagen worden sein kann. Bei Schwarz fehlen der weißfeldrige Läufer und [Bh2], der ebenfalls nicht von einem Bauern geschlagen worden sein kann. Ergo wurde er von einer weißen Figur geschlagen, oder er hat sich schlaglos auf h1 umgewandelt, um dann geschlagen zu werden oder einen geschlagenen Stein zu ersetzen.

Wie können wir nun den riesigen Knoten im Norden des Bretts auflösen?

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Retro der Woche 30/2024

Am kommenden Samstag beginnt im lettischen Jūrmala der 66. Weltkongress der Schachkomposition (WCCC) zusammen mit der 47. Löseweltmeisterschaft (WCSC) – allen Teilnehmern wünsche ich zunächst eine gute Anreise, dann eine schöne und erfolgreiche Zeit an der Ostsee!

Verschiedene Retro-Kompositionsturniere sind ja traditionell bereits angekündigt: Murfatlar, Champagne-Turnier, und da möchte ich uns alle mit einem erneuten Blick in den Preisbericht des letztjährigen Champagne-Turniers, bei dem es um die Rochade ging, „auf Jūrmala“ einstimmen.

Andrej Frolkin
Champagne-Turnier 2023, Abt. B., 4. ehrende Erwähnung
Minimale Zügezahl für wTh1? (14+12)

 

Schauen wir uns zunächst einmal die Diagrammstellung etwas genauer an: Zunächst einmal fällt auf, dass der schwarze König im Schach steht (damit ist klar, wer die Rücknahme beginnen muss) und dass beide Seiten über einen schwarzfeldrigen Umwandlungsläufer verfügen.

Auf beiden Seiten sehen wir einen Bauernschlag: h5xXg6 und d7xYe6. Für Schwarz bleibt noch ein Bauernschlag übrig – und der muss h2xZg1=L (oder h3xg2) gewesen sein, da nur [Bh7] umwandeln konnte und dabei die Felderfarbe wechseln musste.

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Retro der Woche 25/2024

Vor zehn Wochen habe ich hier eine nicht-eindeutige) Beweispartien vorgestellt, bei der eine Anzahl letzter Züge retroanalytisch eindeutig ableitbar waren. Generell ist das bei „normalen“ Beweispartien ja nicht der Fall: Da wird die Zugfolge wesentlich durch die zeitliche Beschränkung ableitbar. Hier soll ohne diesen limitierenden Faktor „Zeit“ eine möglichst hohe Anzahl an eindeutigen letzten Zügen erreicht werden, dabei soll dann eine mögliche Beweispartie, die zu der „u.s.w.-Stellung“ führt, möglichst kurz sein.

In dem im April erwähnten „Schachmatt“ Artikel ging es zunächst einmal um das „Füllen der Tabelle“, später hat sich dann speziell Hugo August weiter mit dem Thema beschäftigt und deutlich komplexere Aufgaben dazu gebaut; aus dem von Karl Fabel ausgeschriebenen einschlägigen Thematurnier möchte ich euch heute den 4. Preis vorstellen, bei dem der „Last-Moves?“ Teil interessant und die Beweispartie dorthin alles andere als trivial ist.

Hugo August
Šahovski vjesnik I/1951, 1. Thematurnier, 4. Preis
74 Einzelzüge, 31 ableitbar (12+16)

 

Das ergibt bei der hohen Zügezahl den erstaunlich niedrigen Koeffizienten von 74/31=2,39.

Der weiße König steht im Schach, also muss Schwarz mit der Rücknahme beginnen. Betrachten wir aber zunächst die Schlagfälle: Weiß konnte nicht schlagen, bei ihm fehlen ein Springer sowie [Bb2], [Be2] und [Bh2]; wLa8 ist offenbar der umgewandelte a-Bauer. Offenbar Entstand sLb1 aus [Ba7], er schlug dabei den fehlenden [Bb2]. Zwei Schläge erfolgten auf der g-Linie, darunter auch der des [Bh2], der sich also auf h8 umgewandelt haben muss. Und dann ist [Be2] irgendwo auf seiner Linie von einem Offizier geschlagen worden.

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Retro der Woche 18/2024

Bei der Löse-Europameisterschaft in Hagen hatten einige Schachfreunde auch Bücher angeboten, und da habe ich ein wenig eingekauft. Das „Альъом России” (Album Russia) für die Jahre 1992 bis 1994 reizte mich, und ich habe dort schon einige sehr interessante Aufgaben, nicht nur bei den Retros, gefunden – viele Quellen sind hier kaum bekannt oder zugreifbar.

Auffällig ist, dass das Album mit seinen 456 Aufgaben, davon 24 Retros, keine einzige Märchenschach-Aufgabe enthält…

Für heute habe ich ein Stück ausgesucht, das mir sehr gut gefällt, das auch, so glaube ich, nicht allzu schwer zu lösen ist.

Juri Lebedew & Andrej Frolkin
Schachmatnaja Komposizia 1993, 3. Preis
Letzte 11 Einzelzüge (9+15)

 

Beginnen wir mit der Inventur: Bei Weiß fehlen neben einem Turm und dem schwarzfeldrigen Läufer fünf Bauern, bei Schwarz fehlt nur ein Bauer.

Schon bei einem flüchtigen Blick auf die Stellung bemerkt man den im Schach stehenden weißen König. Damit ist die Frage, wer denn mit der Rücknahme beginnt, bereits geklärt: Das muss Schwarz sein. Wie aber ist das Schach durch den Läufer auf a6 zu erklären – der Läufer kann nicht schachbietend dort hingezogen haben, und es ist auch kein schwarzer Offizier zu sehen, der im letzten Zug ein Abzugsschach gegeben haben könnte.

Die einzige Möglichkeit stammt vom sBc3 – aber direkt kann er die Batterie nicht abgefeuert haben. Also: En-Passant-Schlag. Und damit haben wir bereits die ersten drei Züge für unsere Rücknahme R 1.– b4xBc3ep+ 2.c2-c4 b5-b4+.

Bei dieser Aufgabe will ich die Lösungsfindung komplett vorstellen, daher solltet ihr, wenn ihr selbst komplett lösen möchtet, was ich jedem empfehlen kann, nicht sofort auf „Weiter“ klicken…

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