Retro der Woche 34/2015

Im jüngst erschienenen FIDE-Album 2007-2009 haben zwei Retros die maximale Punktzahl vom zwölf (alle drei Richter gaben also vier Punkte) erhalten: Die Beweispartie von Nicolas Dupont und Gerd Wilts hatte ich hier bereits im Retro der Woche 28/2014 vorgestellt, das zweite Stück möchte ich euch heute zeigen.

Dmitry Baibikov
StrateGems 2008, Preis
Letzte 54 Einzelzüge? (13+11)

 

Relativ schnell sieht man, dass die Stellung nur aufgelöst werden kann, wenn Weiß e2xXf3 zurücknehmen konnte, um erst den schwarzen, dann den weißen König beweglich zu machen, was die Voraussetzung dafür ist, dass der Knoten im Nordosten geöffnet werden kann, was das Freispielen des wKf6 als Voraussetzung hat.

Hierfür muss aber [Lf1] wieder zu Hause sein, um ihn nicht auszusperren. Falls zu diesem Zeitpunkt [Th1] noch nicht zu Hause ist, darf Weiß auch h3-h4 nicht zurücknehmen, um ihn nun nicht auszusperren.

Besonders auffällig sind (neben drei offensichtlichen Umwandlungs-Damen, die vielleicht die einzige kleine Schwäche dieses Problems darstellen) die Fesselungen: Beide weißen Damen sind ebenso wie ihre schwarze Kollegin auf g3 gefesselt; Eine weitere Fesselung entsteht nach dem ersten Rücknahmezug, denn das Schach gegen den weißen König kann ja nur durch Ld8xXe7+ entstanden sein; das Schlagopfer auf e7 ist dann ebenfalls gefesselt — und der ganze Norden endgültig plombiert, da auch beide weißen Türme nun im Käfig gefangen sind.

Betrachten wir nun aber die Stellung ein wenig genauer:

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Retro der Woche 30/2015

Für die warmen Tage habe ich als Retro der Woche dieses Mal leichtere Kost herausgesucht: Das heutige Stück lässt sich sicherlich beinahe vom Diagramm lösen?! Zumindest die grundlegenden Überlegungen könnt ihr vielleicht vom Blatt (besser gesagt: vom Bildschirm …) aus anstellen?

Thomas Volet & Vladimir Gurvich
StrateGems 2000(v), T. Hickey gewidmet
Weg des Be2? (15+14)

 

Gelegentlich machen die Autoren durch ihre Fragestellung unter dem Diagramm bereits auf den wesentlichen Inhalt ihrer Aufgabe aufmerksam: Statt einfach die Auflösung der Stellung zu fordern, fragen sie nach bestimmten Manövern, die im Rahmen der Auflösung dann auch eindeutig sein sollten, während wie üblich bei den anderen Teilen der Auflösung Zugumstellungen meist tolerierbar sind.

Hier wird nun witzigerweise nach dem Weg des einzig im Diagramm fehlenden Bauern gefragt.
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Retro der Woche 22/2015

Häufig findet man in Retros eine Vorwärts-Forderung wie „#1“, um dem Problem einen „orthodoxen Anstrich“ zu geben, in der Hoffnung, dadurch vielleicht mehr Interessenten für die Retroanalyse zu finden. Dies war in den Frühzeiten der Retroanalyse, als sie sich noch nicht als eigenständige Problemgattung emenzipiert hatte, sicherlich eine sehr natürliche Überlegung.

Wenn man jetzt solch eine Forderung findet, sollte man immer den genauen Sinn hinterfragen — so auch beim heutigen Beispiel.

Leonid M. Borodatow
Die Schwalbe 1974
#1 — Welches waren die letzten 7 Einzelzüge? (15+6)

 

Hier ist für Schwarz überhaupt kein Matt zu sehen, und das durch Weiß ist so schwer auch nicht zu finden – also reine „orthodoxe Camouflage“? Nein, sicherlich nicht, denn das Matt verrät auch etwas über die Vergangenheit der Stellung: Weiß kann Matt setzen, ist also gemäß der Forderung am Zug — und damit hat Schwarz zuletzt gezogen.

Und nun können wir uns mit der Retroanalyse der Stellung beschäftigen.

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Retro der Woche 19/2015

Ich hatte hier kürzlich auf die nun (endlich) erschienenen noch fehlenden Preisberichte aus MatPlus hingewiesen, und auf „meinen“ Bericht dort zu den Retros 2010 möchte ich heute mit einem Beispiel eingehen.

Das Turnier war aus mehrfacher Sicht bemerkenswert: Erstens sollte mit dem Jahrgang 2011 die Veröffentlichung vom Urdrucken eingestellt werden, was ich sehr besuaerlich fand, da MatPlus eine meiner Meinung nach ausgesprochen gute Urdrucke veröffentlichte; die Retros-Abteilung wurde von Hans Gruber hervorragend geleitet.

Und zweitens war dies ein besonderes Turnier: Untern den neun ausgezeichneten Aufgaben (von 44 Teilnehmer) befindet sich keine einzige Beweispartie! Das sieht man in heutigen Informalturnieren sicherlich sehr selten!

So enthielt der Preisbericht sieben Auflöse-Retros (eine davon mit der Circe-Bedingung) sowie zwei Verteidigungsrückzüger vom Typ Proca — auch hier war eines davon mit Märchenbedingung.

Heute möchte ich den dritten Preisträger vorstellen: Ein klassisches Retro, das mir sehr gut gefallen hat.

Nicolai Beluchow
MatPlus 2010, 3. Preis
Löse auf! (15+13)

 

Ein kurzer Blick auf das Diagramm zeigt, dass Weiß nicht umgewandelt haben kann (acht Bauern) und nur ein weißer Springer fehlt. Bei Schwarz fehlen genau drei Bauern.

Schnell sieht man, dass (wegen des Schachgebots gegen den schwarzen König) Weiß mit der Rücknahme beginnen muss; nicht so schnell habe zumindest ich gesehen, wie der Südost-Käfig nach der Rücknahme 1. Df2-g3+ mit eventuellem Entschlag aufgelöst werden kann:

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Tag der Arbeit

Morgen ist der erste Mai, der Tag der Arbeit — an dem die meisten Leute aber gar nicht arbeiten wollen!

Passend zu diesem Nicht-Arbeits-Feiertag möchte ich eine aktuelle klassische Retro-Aufgabe zeigen und euch zum Lösen animieren: Das wird nicht in Arbeit ausarten, das Stück ist ziemlich leicht, aber, wie ich finde, auch ganz nett. Die Lösung wird natürlich nicht verraten: Sie aufzuschreiben wäre mir zu viel Arbeit gewesen…

Eugene Rosner
StrateGems IV-VI/2015
Kürzeste Rücknahme zur Rochade? (12+13); b) sTc7 nach g2

 

Gefragt ist also nach der kürzesten Zugfolge, mit der eine Rochade zurückgenommen werden kann. Viel Spaß beim Lösen!

Retro der Woche 13/2015

Der Franzose André Hazebrouck hat überwiegend klassische Auflöse-Retros gebaut und sich hierbei intensiv mit dem Thema „Retro-Opposition“ beschäftigt. Dabei geht es darum, dass in einer bestimmten Stellung (trotz beweglicher Figuren) kein Wechsel der Zugpflicht zwischen Schwarz und Weiß möglich ist, der für die Auflösung eigentlich erforderlich wäre.

Meist sind die Aufgaben von Hazebrouck hochkompliziert; heute habe ich ein für seine Verhältnisse etwas leichteres Stück herausgesucht.

André Hazebrouck
Die Schwalbe 1993, Günter Lauinger gewidmet, Ehrende Erwähnung
#1 (wer?) (14+13)

 

Schauen wir zunächst einmal, ob wir etwas über die fehlenden Steine herausfinden können: Die weißen Bauern haben offensichtlich drei Mal geschlagen: cxb, exd und f6/h6xg7, und damit sind alle drei fehlenden schwarzen Steine erklärt. Als schwarzen Schlagzug sehen wor zunächst nur f7xe6.

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Retro der Woche 11/2015

Wenn es eines Beweises bedarf, dass Retro-Aufgaben nicht unbedingt eine „Forderung“ im klassischen Problemsinne benötigen, dann ist das Stück, das ich heute vorstellen möchte, ein hervorragendes Beispiel. (Bei der Lösungsbeschreibung stütze ich mich auf Anmerkungen von Andrej Kornilow und Henrik Juel.)

Harry Goldsteen
Probleemblad 1989, nach Andrej Frolkin, Superpreis
#1 (4+14)

 

Natürlich ist Weiß am Zug, da sein König im Schach steht, und das (sogar dualisitische) Matt mittels 1. exf8=D/T# lockt nun wirklich niemanden hinter dem Ofen hervor — aber darum geht es natürlich gar nicht.

Die spannende Frage ist natürlich, wie denn der Retroknoten im Norden aufgelöst werden kann, wie die weißen Steine denn wieder nach Süden gelangen können. Schwarz muss im letzten Zug natürlich den Springer von h7 nach f8 gezogen haben: Dabei kann er keinen weißen Stein geschlagen haben, da dies sofort zum Retropatt führt, da Weiß nun nur R 2.Le8xTf7 hat, und schon ist es vorbei.

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Gerd Wilts hat Geburtstag

Herzliche Glückwünsche nach München an Gerd Wilts zu seinem heutigen Geburtstag und im Namen aller Leser hier alles Gute für das neue Lebensjahr!

Gerds Verdienste um das Problemschach, speziell unser Lieblingsgebiet kann man gar nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen, drum beschränke ich mich auf einige Stichpunkte: Er hat 1991 zusammen mit Andrej Frolkin das Buch Shortest Proof Games — The Rubik’s Cube of a Chess Player veröffentlicht, das stark zur Popularisierung dieses heutigen Hauptgebietes der Retroanalyse beigetragen hat, er hat die PDB aufgebaut und weiterentwickelt, er betreibt sie ebenso wie die Website der Schwalbe — leider kommt er neben diesen Aktivitäten sowie Familie und Beruf viel zu selten zum Komponieren und Richten.

Eine kleine, sehr hübsche Aufgabe von ihm soll euch zum Selbstlösen anregen:

Gerd Wilts
Phénix 1998
Letzte 16 Einzelzüge? (9+9)

 

Die fehlenden schwarzen Steine sind bereits durch die drei weißen Bauern c7, e3 und f3 erklärt, daher kommen wBa7 und wBc6 schlagfrei von a2 bzw. c2. Damit sind auch die schwarzen Schläge prinzipiell klar: neben fxg und exd6 müssen die sBa6a5c5 ihre weißen Kollegen durchlassen; dafür benötigen sie zusammen fünf Schläge.

Damit ist auch klar, wer mit der Rücknahme beginnt:

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