Retro der Woche 31/2022

31.07.22: Vergessene Lösung nachgetragen…

Heute möchte ich euch wieder eine spezielle Idee der Retroanalyse anhand einer Aufgabe vorstellen, die ich in der neuesten Ausgabe von Problemas wiederentdeckt hatte: Es geht um die Zulässigkeit von en passant Schlägen. „Da ist doch alles klar“, könnte man sagen: „Wenn der Doppelzug eines Bauern als letzter Zug eindeutig nachweisbar ist, ist dieser Spezialschlag zulässig — sonst halt nicht!“

Joaquim Crusats
Wolobujew-60 Turnier 2018, 2. ehrende Erwähnung
h#2,5 a posteriori (11+14)

 

Also ein Hilfsmatt in zweieinhalb Zügen: Weiß beginnt im Vorwärtsspiel und setzt mit Unterstützung des Schwarzen matt. Wenn wir nachweisen könnten, dass g7-g5 der letzte schwarze Zug gewesen wäre, gibt es ein paar Matts, z.B. 1.– fxg6 ep 2. Td8 g7 3.Td7 g8=T/D#.

Aber natürlich können wir im Diagramm nicht nachweisen, dass unser Wunschzug auch der letzte des Schwarzen gewesen ist; der könnte auch Ta4-a8 gewesen sein. Doch halt!

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Retro der Woche 30/2022

Heute zeige ich euch ein Mattproblem von vor 50 Jahren: Matt in drei Zügen. Aber ein komisches Ding ist es schon: Soo viel Material soll da notwendig sein? Und wenn man sich ein wenig in die Stellung vertieft, stellt man schnell fest, dass da etwas nicht stimmen kann?!

Nikita Plaksin
Die Schwalbe 1972
#3 (13+14)

 

Versucht man nämlich zu lösen, findet man schnell zweizügig 1.Tde1+ Kxd2 2.Dxd4#. Und das soll Baldur Kozdon, der damalige Dreizüger-Sachbearbeiter der Schwalbe übersehen haben? Oder ist das nur ein fundamentaler Irrtum von mir? Wir sind schließlich bei den Retros — und vielleicht kann ja Retroanalyse unsere Fragen beantworten?

Bei Weiß fehlen zwei Springer sowie [Be2]; alle drei sind von [Ba7] bzw. [Bb7] geschlagen worden. Bei Schwarz fehlen Dame und ein Springer; die wurden mittels axb und exd geschlagen; damit sind alle fehlenden Steine erklärt. Das erklärt aber noch nicht unser Problem mit dem zweizügigen Matt!

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Retro der Woche 26/2022

Sicherlich muss man Nikita Plaksin zu den bedeutendsten Retrokomponisten der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts rechnen: Auf dem Gebiet der klassischen Retroanalyse hat er viel in hoher Qualität komponiert, aber auch — ungewöhnlich für einen sowjetischen Koponisten, hat er sich auch intensiv mit Märchenschach, speziell mit Märchenretros (typischerweise systematische Untersuchungen zu Lastmovern bei speziellen Bedingungen) beschäftigt.

Heute allerdings möchte ich euch ein klassisches Stück von ihm vorstellen.

Nikita Plaksin
Schachmatni Westnik 1993, Dr. L. Ceriani zum Gedenken, 1.-2. Preis
Geschichte des sBg2? (10+13)

 

Alle fehlenden weißen Steine wurden von den schwarzen Bauern geschlagen: sBf5 und sBg5 haben zusammen zweimal geschlagen, und unser „Thema-Bauer“ auf g2 kommt offenbar von c7.

Dabei müssen neben fehlenden weißen Turm und weißer Dame auch die vier fehlenden Bauern geschlagen worden sein — dafür müssen aber alle vier umgewandelt haben. Und von den weißen Bauernschlägen sieht man direkt nur f6xe7, aber auch [Ba2] und [Bb2] müssen je einmal geschlagen haben, um umwandeln zu können; [Bc2] und [Bh2] müssen also schlagfrei auf ihrer Linie umgewandelt haben. Damit haben wir die Umwandlungsfelder b8 für [Ba2], c8 für [Bb2] und [Bc2] sowie h8 für [Bh2].

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Verbesserung

Mario Richter hatte im Retro der Woche 24/2022 eine Nebenlösung gefunden; sie ist dort in den Kommentaren wiedergegeben.

Nun haben die Autoren Joaquim Crusats und Andrej Frolkin eine Verbesserung gefunden, die die Entwandlung eines Turms auf a8 ausschließt, ansonsten quasi nichts an der intendierten Lösung ändert.

Joaquim Crusats & Andrej Frolkin
Werner-Keym-75 Turnier, Die Schwalbe 2017, 1. Preis (Verbesserung)
Löse auf! (14+12)

 

Schön, dass das geklappt hat!

facebook Retro-Video

Schon mehrfach hatte ich von Problemschach-Beiträgen des indischen Chessbase-Ablegers berichtet, die dort der Mitarbeiter Satanick Mukhuty gelegentlich vorstellt. Um diese Beiträge zu finden, nutzt doch einfach die Suche-Funktion dieses Blogs!

Letzte Woche ist nun ein viertelstündiges Video von ihm auf facebook veröffentlicht worden (facebook-Nutzer können einfach nach dem Namen suchen), in dem er ein bekanntes klassisches Retro vorstellt und die zugrunde liegenden Ideen und die Lösung sehr Retro-anfängerfreundlich erläutert.

Nikita M. Plaksin, Alexander Kisljak, Nenad Petrović, Michel Caillaud & Andrej Frolkin
173. Thema-Turnier der Schwalbe 1986
Erster und letzter Zug des schwarzen Königs? (8+9)

 

Ich vermute, dass ihr die Aufgabe “zwischendurch” schneller gelöst habt, als Satanick Mukhuty sie vorgeführt hatte? In etwa einer Woche könnt ihr hier wieder die Lösung finden!

Lösung

Letzte Züge: R: 1.dxe6ep+ e7-e5 2.d4-d5+ Kg6xBf6 3.gxf6ep+ f7-f5 etc.; letzter Zug des sK also: Kg6xBf6.
Der erste Zug des sK war 0-0-0: anders kann er nicht am schwarzen Turm vorbei gekommen sein (sSa8 musste schon vor axb6 dort gestanden haben).

Retro der Woche 24/2022

Vor etwa 30 Jahren hat bernd ellinghoven die „Hilfsmatt-Revolution“ ausgerufen und sie dann als Komponist, häufig gemeinsam mit Fadil Abdurahmanović, popularisiert. Die Idee ist, „neudeutsches Gedankengut“, etwa die Gliederung des Lösungsspiels in Vor- und Hauptplan, aber auch Überlegungen zu den Zwecken und ihrer Ökonomie, aufs Hilfsmatt zu übertragen.

Bei den klassischen Retros sind es vor allen Dingen Joaquim Crusats und Andrej Frolkin, die sich mit solchen Überlegungen beschäftigen (siehe beispielsweise das Retro der Woche 38/2019). Ein weiteres schönes Beispiel möchte ich euch aus dem Keym-75 Geburtstagsturnier zeigen.

Joaquim Crusats & Andrej Frolkin
Werner-Keym-75 Turnier, Die Schwalbe 2017, 1. Preis
Löse auf! (14+12)

 

Bei dem Turnier waren der Jubilar und ich gemeinsame Preisrichter; in der Besprechung der heutigen Aufgabe stütze ich mich stark auf Werners Kommentare, der die für die allgemeinen Retros geschrieben hatte, von damals ab.

Die schwarzen Bauern schlugen zweimal (f7xLe6 und g3xXh2). Die weißen Bauern schlugen zweimal (e2xSf3, f2xLg3); unklar ist noch, wer den [Ba7] und den [Bh7] geschlagen hat.

Da der weiße König im Schach steht, muss Schwarz im letzten Zug die Batterie 1.– Sc1-d3+ abgefeuert haben. Der Käfig im Süden löst sich durch die Rückkehr des wL nach f1 und durch e2xXf3 auf (nicht durch f2-f3, weil der schwarzfeldrige sL nicht auf g4 oder f3 schlagbar ist). Dieser Hauptplan scheitert zunächst mangels schwarzer Rückzüge (Retropatt). Denn wenn 2.Sd,f4-e2? f7xLe6 3.Lc4-e6 erfolgt, fehlt Schwarz ein weiterer Rückzug. Daher besteht der Vorplan von Weiß darin, Schwarz genügend Rückzüge zu verschaffen.

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Retro der Woche 19/2022

(Ursprünglichen Diagrammfehler korrigiert: Te6 war weiß!)

Im Schwalbe-Informalturnier 2020 hat mich besonders die Abteilung der „anderen Retros“ begeistert mit überragenden orthodoxen klassischen Retros. Ich habe jetzt den dritten Preis davon ausgewählt und möchte ihn hauptsächlich mit den Lösungsangaben aus der Schwalbe hier vorstellen.

Andrej Frolkin & Sergei Tkatschenko
Die Schwalbe 2020, 3. Preis
Löse auf! Minimale Anzahl Schachgebote gegen den sK? (14+15)

 

Hans Gruber hat damals sehr ausführlich und gut verständlich die Lösung kommentiert, und darauf greife ich nun gern zurück (305 Die Schwalbe Oktober 2020, S. 712):

„Der Käfig löst sich durch die Rücknahme des einzigen weißen Schlagzuges e2:Sf3 auf, aber zuvor müssen [Th1] und [Lf1] zurück sein. Die schwarzen Bauern schlugen b:c und f:e, [Bb2] wandelte schlagfrei auf b8 um. R 1.Df6-f5+ (ein erstes, offensichtliches Schachgebot) f5:Xe4. Trickreich ist die Frage „X=?“. Die Auflösung 1.– f5:Te4? geht ruckzuck und zunächst ohne weiteres Schachgebot: 1.– f5:Te4 2.Ka4-b3 c4-c3 3.Te1-e4 c5-c4 4.Kb3- a4 c6-c5 5.Kc3-b3 a4-a3 6.Tb4-f4 a5-a4 7.Tb8-b4 a6-a5 8.b7-b8=T a7-a6 9.b6-b7 b7:Lc6 10.Lb5-c6. Aber hoppla: Jetzt ist Schwarz retropatt, ganz knapp. Daher ist es nötig, umzudisponieren und statt des Turms einen Springer auf e4 zu entschlagen, also R 1.– f5:Se4! Aber wenn dieser Springer hurtig nach b8 eilt, fehlen am Ende sogar zwei schwarze Züge.

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Retro der Woche 18/2022

Wie versprochen folgt heute der dritte Streich – das Siegerstück der „anderen Retros“ aus dem Schwalbe-Informalturnier 2020. Das ist ein klassisches Retro im besten Sinne. Harry Goldsteen (26.7.1939-5.6.2021) hatte lange Zeit nichts veröffentlicht, dann aber zu meiner großen Freude den Weg zurück zum Komponieren gefunden, im Wesentlichen in der Schwalbe.

Harry Goldsteen
Die Schwalbe 2020, 1. Preis
Matt? (13+13)

 

Die Frage lässt sich natürlich trivial mit „ja“ zu beantworten – wenn denn die Stellung legal ist. Man könnte also auch „Legal?“ als Frage unter das Diagramm schreiben. Die Legalität lässt sich natürlich nur durch Rückspielen im Endeffekt bis zur Partieanfangsstellung beweisen – so könnte man auch einfach „Löse auf!“ fordern, allerdings würde das ja schon Legalität der Stellung implizieren.

Schauen wir zunächst nach der Schlagbilanz: Weiß schlug offensichtlich axb und hxg, zusätzlich im Schachgebot in der Diagrammstellung – das erklärt die drei fehlenden schwarzen Steine.

Bei Schwarz sieht man einen Doppelbauern auf der g-Linie, ferner müssen [Bb7] und [Bc7] überkreuz geschlagen haben, um ihre weißen Kollegen durchzulassen.

Leicht zu sehen ist, dass bei Weiß die beiden Springer und die Dame fehlen, bei Schwarz [Lf8] sowie [Ba7] und [Bh7] – damit kommt sBg2 von f7 – warum geht es nicht anders herum? Die beiden fehlenden Bauern konnten nicht direkt geschlagen werden, mussten sich also (schlagfrei) umwandeln.

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