Retro der Woche 25/2022

Wenn sich zwei große Meister — das könnt ihr hier sogar wörtlich nehmen: zwei Großmeister — zusammentun, um gemeinsam eine Aufgabe zu bauen, kann man schon ein wenig mehr als „nur“ eine gute Aufgabe erwarten. Ich glaube, das heutige Problem wird diesen hohen Erwartungen gerecht.

Michel Caillaud & Reto Aschwanden
Donani-50 Turnier 2003, 2. Preis
Beweispartie in 20,0 Zügen (12+15)

 

Bei Weiß sind wir mit dem Zählen der sichtbaren Züge schnell fertig; wir kommen auf drei, und das hilft uns noch nicht viel weiter. Vielversprechender ist das Zählen bei Schwarz: 2+2+4+1+3+6=18, aber das kann so noch nicht stimmen: Sowohl für die lange Rochade als auch für die Turmzüge in den Südwesten benötigen wir ein freies Feld c8; der dortige Läufer muss das Feld also verlassen haben und wieder zurückgekehrt sein — und damit sind alle schwarzen Züge bereits nachgewiesen.

Aber noch ein paar andere Fakten können wir daraus ableiten:

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Retro der Woche 23/2022

Wie beinahe immer wurde auch beim diesjährigen Treffen der Märchenschachfreunde in Andernach eine neue Bedingung vorgestellt und gleich kompositorisch erprobt. Dieses Mal war es Dister, erfunden von Andreas Thoma, der es wie folgt (um einige Sonderfälle und Verbindungen mit anderen Bedingungen gekürzt) erklärt:

„Beim Dister (etwas ausführlicher könnte man auch Distancer sagen) geht es um den maximalen Abstand zweier bestimmter Diagrammsteine, der Bezugssteine S1 und S2, die im bzw. unter dem Diagramm festgelegt sind. Beim maxdister muss Schwarz so ziehen, dass die Entfernung zwischen S1 und S2 nach Beendigung des Zuges (inclusive eventueller Wiedergeburten) maximal ist. Dabei bleibt die Wirkung auf den gegnerischen König normal (wie beim Längstzüger). Die Parade von Schachgeboten gegen den eigenen König hat Vorrang vor der Dister-Bedingung. Beim mindister ist minimale statt maximaler Distanz gefordert.“

Und wie beinahe immer gewann auch in diesem Jahr eine Beweispartie das entsprechende Thematurnier!

Michel Caillaud
Andernach 2022, 1. Preis
Beweispartie in 17 Zügen, MaxDister; Bezugssteine kopfstehend (14+15)

 

Wenn ihr euch ein wenig in die Bedingung eingedacht habt, werdet ihr euch sicher schnell über den „Dister-Bauern“ auf h5 wundern: Er hatte natürlich auf h7 die Maximaldistanz zum anderen Bezugsstein Ba2 – wir konnte er dann nach h5 kommen? Oder konkreter: Wie konnte er nach h5 gezwungen werden, denn nach den „normalen“ Dister-Regeln hätte er sich nicht bewegen dürfen, da jeder Zug von h7 ja die geforderte Maximaldistanz verringert hat.

Ein wenig weiteres Nachdenken ergibt, dass kein Zug des [Bh7] direkt auf der h-Linie erzwungen werden kann: Weder h7-h6 noch h7-h5.

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Retro der Woche 22/2022

Heute geht das Treffen der Märchenschachfreunde in Andernach schon wieder zu Ende. Da möchte ich euch wie schon in der letzten Woche wieder eine Märchenschach-Beweispartie zeigen – und irgendwie komme ich natürlich an der Bedingung Andernachschach nicht vorbei, die, wen wundert es, bei einem dieser Treffen vorgestellt und sofort kompositorisch ausprobiert wurde.

Die Bedingung ist sehr einfach erklärt: „Nichtkönigliche Steine wechseln, wenn sie einen gegnerischen Stein schlagen, als Teil des Zuges die Farbe.“ – so ist sie im Schwalbe-Lexikon definiert.

Auch der Autor dieser Aufgabe war in diesem Jahr wieder in Andernach!

Dirk Borst
feenschach 1997, Preis
Beweispartie in 21 Zügen, Andernachschach (16+12)

 

Zunächst einmal bemerken wir: Orthodox kann die Stellung nicht in 21 Zügen, nicht in einer ungeraden Zahl von Zügen erspielt werden, da Weiß eine gerade Zahl von Zügen spielen müsste, um die Partieanfangsstellung wiederherstellen zu können.

Wir sehen, dass bei Schwarz vier Bauern fehlen – also schlug wegen der Märchenbedingung Schwarz (!) vier Mal mit Bauern. Da ist aber erst einmal nichts sichtbar!

Wenn uns sonst nichts einfällt, wenn etwa die Schlagbilanz anhand der Bauernstruktur keine Hinweise gibt, dann zählen wir einfach die schwarzen sichtbaren Züge. Da sehen wir 3+2+3+2+3+1=14 – damit sind noch sieben Züge frei! Das ist sehr viel, aber vielleicht hilft uns das doch weiter? Dazu stellen wir uns die Frage, wie denn die weiße Bauernphalanx wieder geschlossen werden konnte, wenn doch gleich vier Bauern durch Schlagen weiß wurden – und was haben sie geschlagen?

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Start des Andernach-Treffens

Heute geht es in Andernach nach zweijähriger Corona-Pause wieder los! Allen, die auf dem Weg dorthin sind, wünsche ich eine gute Fahrt – im Zug, im Auto (natürlich nur auf dem Beifahrersitz!) mögt ihr euch vielleicht schon einstimmen? Und wenn ihr nicht kommt, dann habt ihr hier zumindest einen kleinen „Zwischendurch“-Gruß aus Andernach!

Andrew Buchanan
Problemas 2021
Beweispartie zu Schwarz am Zug, dann h#2, Köko, Okök (16+16)

 

Viel Märchenschach, wie es sich für heute gehört! Die kopfstehenden Damen ersetzen die Originale und sind Grashüpfer (ziehen wie Damen, aber über einen Sprungstein direkt vor dem Zielfeld). Köko: Mindestens ein Nachbarfeld des Zielfeldes muss besetzt sein, sonst ist der Zug illegal. Okök: Mindestens ein Nachbarfeld des Startfeldes muss besetzt sein, sonst ist der Zug illegal.

Gesucht ist also die kürzeste Beweispartie, die diese Anfangsstellung mit Schwarz am Zug wiederherstellt, dann wird das Hilfsmatt in zwei Zügen gesucht.

Das liest sich schrecklich wild, ist es aber gar nicht! Versucht es; viel Spaß dabei! Und in etwa einer Woche erscheint hier wieder die Lösung.

Lösung

Lösung mit netten Verführungen!
Beweispartie in 3,5 Zügen:
1.Sc3 Gd6 2.Sd5 Gd4 3.Sc3 Gd8 4.Sb1.
1.Sf3? Gf6 2.Se5 Gd4 3.Sf3 Gd8? Okök 4.Sg1
1.Sf3? Gd6 2.Sd4? Köko Gd3 3.Sc3 Gd8 4.Sg1
1.Sf3,Sh3? Gf6 2.Sg5 Gh4+ 3.Sf3 Gd8? Okök 4.Sg1
Dann das Hilfsmatt in 2:
1.h6 (1.h5? Köko) Gb3 2.Th7 Gxg8#

So schwer war das doch gar nicht, stimmts?

Retro der Woche 21/2022

Nach zweijähriger Corona-bedingter Pause treffen sich die Märchenschachfreunde wieder am Himmelfahrts-Wochenende in Andernach – wie seit dem ersten Treffen 1975 jedes Jahr, wenn man von den letzten beiden absieht.

Dort spielt traditionell auch Retroanalyse, häufig natürlich märchenschachlich gewürzt, eine wichtige Rolle, und so will ich zum Aufwärmen heute eine Märchen-Beweispartie vorstellen.

Circe ist sicher eine der fruchtbarsten und bekanntesten Märchenbedingungen überhaupt: Ein geschlagener Stein wird auf seinem Partieausgangsfeld wiedergeboren. Für Läufer und Dame ist dies eindeutig bestimmt (dabei übersieht man mögliche Umwandlungen großzügig), für Springer und Türme definiert man das Anfangsfeld mit gleicher Felderfarbe als Wiedergeburtsfeld (ein wS geschlagen auf d4 wird auf g1 wiedergeboren, ein auf d5 geschlagener auf b1). Bei Bauern nimmt man das Feld der zweiten bzw. siebten Reihe, auf der sie geschlagen wurden, als Anfangsfeld an. Ist dieses Feld besetzt, verschwindet das Schlagopfer ganz normal.

Der Autor unserer heutigen Aufgabe hat sich auch wieder angemeldet; sein Stück zeigt ein ganz typisches Circe-Thema.

Michel Caillaud
Probleemblad 1995
Beweispartie in 22 Zügen, Circe (16+16)

 

Eine mit orthodoxer Brille betrachtet natürlich sehr kuriose, völlig illegale Stellung! Irgendwie muss ja die schwarze Dame d8 verlassen haben, irgendwie müssen die Türme, Dame und König von Weiß mitten aufs Brett gekommen sein – und irgendwie müssen ja auch Läufer uf die Eckfelder gelangt sein.

Kann man denn aus der Stellung überhaupt etwas ableiten oder muss man wie wild probieren?

Zählen wir doch mal einfach die sichtbaren weißen Züge: 3+1+3+4+5=16 – da bleiben also noch sechs Züge übrig, um mit den Bauern freie Wege zu schaffen: Für König, Dame, Türme, aber auch für die Läufer, damit sie auf die Eckfelder kommen.

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Retro der Woche 20/2022

Noch eine Beweispartie aus dem Preisbericht zum 2020 Retro-Informalturnier der Schwalbe (erschienen im Aprilheft 2022) möchte ich euch präsentieren. Die heutige Aufgabe hätte ich persönlich als Preisrichter sicher etwas höher eingereiht, aber in solch einem engen und hochklassigen Feld ist das nicht verwunderlich, dass nicht alle zu identischen Reihungen kommen. (Und kämen sie es, wäre es ja völlig gleichgültig, wer denn nun richtet…)

Sicher hat sich längst herumgesprochen, dass der Autor hervorragende, strategisch interessante und originelle Beweispartien zu bauen versteht – das zeigt sich auch hier:

Mark Kirtley
Die Schwalbe 2020, Thomas Brand gewidmet, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 20,5 Zügen (11+16)

 

Das übliche und fast reflexartige „sichtbare-Züge-zählen“ hilft uns bei Weiß erst einmal nicht viel weiter: Sichtbar sind nur 1+0+0+0+2+3=6 Züge – nicht einmal ein Drittel! Aber immerhin müssen ja fünf weiße Steine verschwinden, von denen zumindest drei – natürlich nicht [Lc1] – gezogen haben .

Auffällig im Diagramm ist besonders der sTc1, der offensichtlich den weißen Läufer dort geschlagen hat: Wie ist der in den Süden vorgedrungen? Wahrscheinlich über Westen, also über a1, denn über die g-Linie würde er im Zweifelsfall ja kräftig stören.

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Andrej Frolkin 65

Heute gehen herzliche Glückwünsche zum 65 Geburtstag an Andrej Frolkin nach Kiew: Mir ist klar, dass dies kein „normaler“ Geburtstag in dieser furchtbaren Kriegssituation sein kann; umso mehr wünsche ich dir, lieber Andrej, von Herzen alles Gute für dein neues Lebensjahr: Gesundheit, Unversehrtheit – und natürlich ganz besonders Frieden für dich und deine Lieben, deine Freunde!

Über Andrej muss ich hier nicht viel berichten: Dass er ein großartiger Komponist, Verfasser toller Aufsätze, eminenter Preisrichter ist, das wissen wir alle. Und ich freue mich sehr, dass du, Andrej diesen Blog buchstäblich vom ersten Tag an freundschaftlich begleitest, dafür bin ich dir sehr dankbar!

Besonders toll und erfreulich finde ich, dass du in dieser so schweren Zeit im Problemist die Rubrik „Selected Retros“ übernimmst.

Aus der „Urzeit der eindeutigen Beweispartien“, dem Jahr 1982, also von vor 40 Jahren, habe ich ein Gemeinschaftsstück zweier junger Talente, die das Genre „KBP“ in den folgenden Jahren entscheidend prägen sollten, herausgesucht – das Veröffentlichen von Gemeinschaftsaufgaben und -artikeln ist noch immer eine sehr typische Eigenschaft von Andrej:

Andrej Frolkin & Michel Caillaud
feenschach 1982, 1. Lob
Beweispartie in 22,5 Zügen (15+12)

 

 

Versetzt euch zurück in die Anfangszeit der Beweispartien, versucht sie einfach zu lösen! Und ansonsten kommt die Lösung hier wie immer in etwa einer Woche.

Lösung


Günter Büsing 75

Nicht zu glauben: Günter Büsing wird heute 75 – dazu meine herzlichen Glückwünsche nach München. Wieso „nicht zu glauben“? Als ich Günter vor 40 Jahren erstmals in Andernach traf, hatte ich ihn glatt 10 Jahre jünger geschätzt, die Angabe seines Geburtsjahres im Schwalbe-Inhaltsverzeichnis musste ein Druckfehler gewesen sein… Und so kommt es mir heute immer noch vor!

Das liegt sicher auch an seinem nie nachlassenden Einsatz fürs Problemschach: Als mpk-Löser, als Sachbearbeiter im Schach-Echo, als Schriftleiter der Schwalbe, als deren zweiter Vorsitzender, als Preisrichter und Büchersammler, als Sekretär von PCCC und WFCC, als Redakteur der Kalenderblätter in der Schwalbe – und all diese Aktivitäten jeweils gefühlte Jahrzehnte lang! Ok, demnach müsste er heute 100 werden?!

Ad multos annos!

Zum Komponieren kommt er da viel zu selten, dabei hat er sehr gute Aufgaben gebaut, speziell längere Hilfsmatts. Und gelegentlich verirrt er sich sogar in unsere Retro-Nische; von einem dieser Ausflüge möchte ich euch „für zwischendurch“ eine orthodoxe Beweispartie vorstellen: Viele Spaß beim Lösen!

Günter Büsing
Die Schwalbe 2019
Beweispartie in 9,5 Zügen (13+14)

 

 

Wie immer: Selbst lösen (viel Strategie für die kurze Zugfolge!) oder in etwa einer Woche hier noch einmal vorbeischauen!

Lösung