Retro der Woche 20/2022

Noch eine Beweispartie aus dem Preisbericht zum 2020 Retro-Informalturnier der Schwalbe (erschienen im Aprilheft 2022) möchte ich euch präsentieren. Die heutige Aufgabe hätte ich persönlich als Preisrichter sicher etwas höher eingereiht, aber in solch einem engen und hochklassigen Feld ist das nicht verwunderlich, dass nicht alle zu identischen Reihungen kommen. (Und kämen sie es, wäre es ja völlig gleichgültig, wer denn nun richtet…)

Sicher hat sich längst herumgesprochen, dass der Autor hervorragende, strategisch interessante und originelle Beweispartien zu bauen versteht – das zeigt sich auch hier:

Mark Kirtley
Die Schwalbe 2020, Thomas Brand gewidmet, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 20,5 Zügen (11+16)

 

Das übliche und fast reflexartige „sichtbare-Züge-zählen“ hilft uns bei Weiß erst einmal nicht viel weiter: Sichtbar sind nur 1+0+0+0+2+3=6 Züge – nicht einmal ein Drittel! Aber immerhin müssen ja fünf weiße Steine verschwinden, von denen zumindest drei – natürlich nicht [Lc1] – gezogen haben .

Auffällig im Diagramm ist besonders der sTc1, der offensichtlich den weißen Läufer dort geschlagen hat: Wie ist der in den Süden vorgedrungen? Wahrscheinlich über Westen, also über a1, denn über die g-Linie würde er im Zweifelsfall ja kräftig stören.

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Andrej Frolkin 65

Heute gehen herzliche Glückwünsche zum 65 Geburtstag an Andrej Frolkin nach Kiew: Mir ist klar, dass dies kein „normaler“ Geburtstag in dieser furchtbaren Kriegssituation sein kann; umso mehr wünsche ich dir, lieber Andrej, von Herzen alles Gute für dein neues Lebensjahr: Gesundheit, Unversehrtheit – und natürlich ganz besonders Frieden für dich und deine Lieben, deine Freunde!

Über Andrej muss ich hier nicht viel berichten: Dass er ein großartiger Komponist, Verfasser toller Aufsätze, eminenter Preisrichter ist, das wissen wir alle. Und ich freue mich sehr, dass du, Andrej diesen Blog buchstäblich vom ersten Tag an freundschaftlich begleitest, dafür bin ich dir sehr dankbar!

Besonders toll und erfreulich finde ich, dass du in dieser so schweren Zeit im Problemist die Rubrik „Selected Retros“ übernimmst.

Aus der „Urzeit der eindeutigen Beweispartien“, dem Jahr 1982, also von vor 40 Jahren, habe ich ein Gemeinschaftsstück zweier junger Talente, die das Genre „KBP“ in den folgenden Jahren entscheidend prägen sollten, herausgesucht – das Veröffentlichen von Gemeinschaftsaufgaben und -artikeln ist noch immer eine sehr typische Eigenschaft von Andrej:

Andrej Frolkin & Michel Caillaud
feenschach 1982, 1. Lob
Beweispartie in 22,5 Zügen (15+12)

 

 

Versetzt euch zurück in die Anfangszeit der Beweispartien, versucht sie einfach zu lösen! Und ansonsten kommt die Lösung hier wie immer in etwa einer Woche.

Lösung


Günter Büsing 75

Nicht zu glauben: Günter Büsing wird heute 75 – dazu meine herzlichen Glückwünsche nach München. Wieso „nicht zu glauben“? Als ich Günter vor 40 Jahren erstmals in Andernach traf, hatte ich ihn glatt 10 Jahre jünger geschätzt, die Angabe seines Geburtsjahres im Schwalbe-Inhaltsverzeichnis musste ein Druckfehler gewesen sein… Und so kommt es mir heute immer noch vor!

Das liegt sicher auch an seinem nie nachlassenden Einsatz fürs Problemschach: Als mpk-Löser, als Sachbearbeiter im Schach-Echo, als Schriftleiter der Schwalbe, als deren zweiter Vorsitzender, als Preisrichter und Büchersammler, als Sekretär von PCCC und WFCC, als Redakteur der Kalenderblätter in der Schwalbe – und all diese Aktivitäten jeweils gefühlte Jahrzehnte lang! Ok, demnach müsste er heute 100 werden?!

Ad multos annos!

Zum Komponieren kommt er da viel zu selten, dabei hat er sehr gute Aufgaben gebaut, speziell längere Hilfsmatts. Und gelegentlich verirrt er sich sogar in unsere Retro-Nische; von einem dieser Ausflüge möchte ich euch „für zwischendurch“ eine orthodoxe Beweispartie vorstellen: Viele Spaß beim Lösen!

Günter Büsing
Die Schwalbe 2019
Beweispartie in 9,5 Zügen (13+14)

 

 

Wie immer: Selbst lösen (viel Strategie für die kurze Zugfolge!) oder in etwa einer Woche hier noch einmal vorbeischauen!

Lösung


Retro der Woche 17/2022

In der letzten Woche hatte ich bereits angekündigt, hier die beiden anderen ersten Preise der insgesamt drei Gruppen des Schwalbe 2020 Retro-Informalturniers vorstellen zu wollen. Heute ist der Sieger des Beweispartien-Wettbewerbs an der Reihe; allein schon die beiden Autorennamen versprechen eine inhaltsschwere Aufgabe.

Reto Aschwanden & Michel Caillaud
Die Schwalbe 2020, 1. Preis
Beweispartie in 29,5 Zügen (14+14)

 

Beim Blick aufs Diagramm entdeckt man schnell zwei weißfeldrige schwarze Läufer. Dieser erklärt den fehlenden schwarzen Bauern, der sich umgewandelt haben muss. Das kann nur der [Bg7] gewesen sein, der auf seinem Weg auf ein weißes Umwandlungsfeld einmal geschlagen haben muss.

Und sein Schlagopfer muss [Bh2] gewesen sein: Der kann wegen der Schlagbilanz nicht auf f6 geschlagen worden sein, und damit sind schon die beiden schwarzen Schläge erklärt. Bei Weiß muss dann auch noch der [Bb2] verschwinden. Direkt kann er nicht geschlagen worden sein, also muss er sich umgewandelt haben, um sich dann auf f6 zu opfern oder das weiße f6-Opfer zu ersetzen.

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Retro der Woche 15/2022

Nachdem wir in der letzten Woche den ersten Preis der (sonstigen) Retros im 2020er Jahrgang von StrateGems angeschaut hatten, möchte ich nun zu den Beweispartien dieses Jahrgangs springen. Preisrichter Ryan McCracken äußert in seinen Vorbemerkungen die Befürchtung, dass aus den orthodoxen Beweispartien alles an Saft herausgepresst sei, was noch möglich ist – dennoch konnte er ein orthodoxes Stück mit dem zweiten Preis auszeichnen.

Satoshi Hashimoto
StrateGems 2020, 2. Preis
Beweispartie in 19 Zügen (13+15)

 

Bei Schwarz sind die sichtbaren Züge schnell gezählt: das sind exakt fünf Bauernzüge. Hinzu kommen noch zwei Züge des einzig fehlenden schwarzen Steins, des [Lf8]. Der muss wegen des weißen Doppelbauern auf der e-Linie auf e3 geschlagen worden sein. Es bleiben also noch zwölf(!) freie schwarze Züge!

Bei Weiß kommen wir mit dem Zählen schon ein Stück weiter: 0+2+4+3+3+5=17 mit also noch zwei freien weißen Zügen.

Betrachten wir nun die Schlagfälle:

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Retro der Woche 12/2022

Korrektur 25.3.22: Stellung durch Co-geprüfte (Die Schwalbe VI/2016, S. 525) ersetzt

Im Zusammenhang mit dem Retro der letzten Woche hatte ich erwähnt, dass der Retro-Schwalbe-Jahrgang 2015 „bärenstark“ gewesen sei. Das will ich auch gern noch einmal anhand der Beweispartien zeigen. Den ersten und dritten Preis konntet ihr bereits in den Retros der Woche 33/2019 (mit 12 Punkten im FIDE-Album!) bzw. 52/2020 ansehen. Heute will ich auf das sechstplatzierte Stück eingehen – übrigens die erste der „Nicht-Dupont-Baier“ Aufgaben in diesem Bericht.

Roberto Osorio & Joaquin J. Lois
Die Schwalbe 2015 (V), 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 16 Zügen (13+15)

 

Wenn man sich die Diagrammstellung anschaut, fällt auf, dass der weiße König im Schach steht, dass der Schachzug schlagend gewesen sein muss. Dann fällt auf, dass kein Schlag durch irgendwelche Doppelbauern verraten wird.

Bei Weiß fehlt neben dem [Ba2] noch ein weiterer Bauer (vermutlich der [Bd2], aber das wissen wir noch nicht genau) sowie [Lf1]. Bei Schwarz fehlt nur ein Bauer, vermutlich der [Bc7].

Das hilft noch nicht viel weiter – schauen wir nach den offensichtlichen Zügen.

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Retro der Woche 10/2022

In dieser Woche ist die erste Ausgabe 2022 des niederländischen Probleemblad erschienen. In den Retro-Lösungen zu den Urdrucken aus Heft 3/2021 fand ich ein sehr interessantes Stück, das ich euch heute zeigen möchte – speziell, weil der Sachbearbeiter Roberto Osorio hier einen interessanten Vergleich zu einer völlig anders gearteten Forderung zieht.

Jorge Lois & Roberto Osorio
Probleemblad 2021
Beweispartie in 22 Zügen (13+15)

 

Bei Schwarz fehlt nur ein Stein, nämlich ein Turm, und der starb auf b3. Bei Weiß fehlen ein Turm sowie [Bd2] und [Bh2]. Weiß kann nicht mehr geschlagen haben, also wurde [Bh2] auf h6, der fehlende Turm auf e6 und [Bd2] auf der d-Linie geschlagen worden sein.

Versuchen wir uns nun am Abzählen der sichtbaren Züge: Bei Schwarz sehen wir 5+0+3+1+0+3=12 Upps, da fehlen noch glatt zehn Züge!

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10. FIDE Weltcup für Schachkomposition

Nachtrag 5.3.22: Hinweis ergänzt, dass nur Originale zugelassen sind.

Vor ein paar Tagen haben FIDE und WFCC den 10. Weltcup für Schachkomposition in den bekannten acht Rubriken ausgeschrieben; bei den Retros sind nur (orthodoxe) Beweispartien zugelassen. Wie üblich sind Gemeinschaftsaufgaben nicht zugelassen, jeder Autor darf pro Rubrik nur eine Aufgabe einschicken.

Preisrichter für die Retros ist Kostas Prentos. Einsendungen (nur Originale!) bis zum 1. Juli 2022 an Turnierdirektor Aleksej Oganesjan aus Russland (nur per E-Meil: alexeioganesyan(at)gmail.com); der Preisbericht (1. Preis je 500 €), wird spätestens am 1. November 2022 im Internet veröffentlicht.

Die detaillierte Ausschreibung findet sich auf der WFCC-Seite.

Ob das Turnier nun trotz der schlimmen Ereignisse in der Ukraine und den (sport)politischen Reaktionen darauf so stattfinden wird wie ausgeschrieben, werden die nächsten Wochen zeigen …