Retro der Woche 46/2020

Ein wichtiges Ziel beim Komponieren von Beweispartien ist für viele, in der Diagrammstellung möglichst wenig von Inhalt und Thema zu verraten; dies ist etwa der Hauptgrund für die Beliebtheit von Umwandlungsthemen, bei denen der Umwandlungsstein oder sein „originales Gegenstück“ verschwindet. Ähnlich ist es mit Platzwechseln, Rundläufen und Rückkehren, ähnlich ist es mit „Betrüger-Steinen“, die den (falschen) Anschein erwecken, als stünden sie schon ursprünglich auf diesem Feld (als Bauer: kämen sie von dieser Reihe), kommen aber von einem anderen Feld, einer anderen Reihe.

Wenn ihr die heutige Beweispartie gelöst oder durchgespielt habt, möget ihr doch für euch entscheiden, ob die Autoren beim Komponieren auch dieses Ziel vor Augen hatten — ob sie es dann erreicht haben?

Etienne Dupuis & Michel Caillaud
Probleemblad 2000
Beweispartie in 20 Zügen (13+14)

 

Zählen wir zunächst die sichtbaren Züge, so entdecken wir bei Weiß gerade einmal drei (bxc3 sowie Lf1-h3-g4). Bei Schwarz sind es einige mehr: 1+2+0+1+2+8=14.

Merkwürdige Zählerei bei Schwarz für Läufer und Bauern? Nun, [Lc8] wurde offensichtlich zu Hause geschlagen (dafür brauchen wir natürlich weitere Züge von Weiß!), Le4 ist also ein offensichtlicher Phönix, muss also durch Umwandlung entstanden sein. Und minimal hat er anschließend einen Zug gemacht, um nach e4 zu kommen.

Es fehlt nur ein schwarzer Bauer, der [Lc8] durch Umwandlung ersetzt haben kann: [Bh7].

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Glückwunsch nach Dresden

Heute gehen herzliche Glückwünsche nach Dresden, wo Silvio Baier Geburtstag feiert. Und wir können mitfeiern, indem wir uns die folgende Beweispartie anschauen.

Nein, keine Sorge, kein 30-Züger mit komplexer, modernster Thematik, sondern ein schönes „Zwischendurch-Problem“, das so schwer nicht zu lösen sein sollte.

Silvio Baier
Die Schwalbe 2008
Beweispartie in 10,5 Zügen (15+16)

 

Die Frage ist natürlich, wie man den [Bd2] los wird? Die Antwort gibt es wie immer in etwa einer Woche hier — aber die wollt ihr doch selbst finden?

Lösung

Von den Pronkin-Umwandlungen ist die des Springers prinzipiell die schwierigste, weil der „Weg zurück“ mindestens vier Züge benötigt. Nett ist auch die sofortige Rückkehr des schwarzen Königs, der natürlich dem Schachgebot des Bauern ausweichen muss.

Damenbauernspiel

Kurze Beweispartien reizen, besonders wenn sie nahe an der Partieanfangsstellung sind, ganz besonders zum Lösen. Hier haben wir ein ganz orthodoxes Damenbauernspiel — nur fehlen halt ein paar Steine…

Joost de Heer
Probleemblad 2000
Beweispartie in 7 Zügen (14+13)

 

Joost berichtet, dass dieses Stück offensichtlich vielen Lösern recht schwergefallen ist: wie geht es euch? In etwa einer Woche findet ihr hier wie immer die Lösung.

… And here we are!

Lösung

Verblüffende Rückkehren, besonders die des [Ta1] hat mich überrascht, als ich das Stück zum ersten Male sah.

Retro der Woche 44/2020

Kürzlich ist der Preisbericht der feenschach-Retro-Urdrucke des Jahres 2016 erschienen; Preisrichter Thierry Le Gleuher vergab nur einen einzigen Preis — und dieses Stück ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Andrej Frolkin
feenschach 2016, Preis
Beweispartie in 20,5 Zügen (13+12)

 

Sofort fallen in dieser eigentlich recht kurzen Beweispartie im Diagramm gleich drei Umwandlungssteine auf: eine schwarze Dame sowie ein weißer Turm und Läufer, wobei die beiden weißen auch noch auf ihren potenziellen Umwandlungsfeldern stehen.

Versuchen wir, die Züge zu zählen, dabei lassen wir die beiden weißen Steine auf der 8. Reihe einfach aus und bewerten sie mit 10 Zügen für die beiden Umwandlungen. Darüber hinaus sehen wir 2+1+2+0+0+1=6 — mit den „zehn im Sinn“ bleiben noch fünf weiße Züge frei: Das ist eine Menge!

Setzen wir bei Schwarz die Rochade voraus und gehen davon aus, dass sDb2 umgewandelt hat, so sehen wir 2+8+1+0+5+2=18 Züge – „nur“ zwei Züge sind hier frei.

Da die Bauernstruktur keine direkten Hinweise auf Schläge gibt, müssen wir nun nach anderen Stellungsmerkmalen Ausschau halten, die uns der Lösung näherbringen.

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Retro der Woche 43/2020

Heute geht in Chemnitz das Schwalbe-Treffen 2020 zu Ende: Seit Freitag haben sich Schwalben dort getroffen, um sich wieder einmal persönlich zu begegnen und (nicht nur über Problemschach) auszutauschen, um am Samstagnachmittag die Mitgliederversammlung abzuhalten.

Bei den Wahlen kandidierte nach 27 Jahren (!) Ehrenmitglied Kurt Ewald nicht mehr als DSB-Delegierter; zu seinem Nachfolger bestimmte die Versammlung Wolfgang Erben; ansonsten wurde der Vorstand mit Bernd Gräfrath als Vorsitzendem für zwei Jahre wiedergewählt.

Besonderer Dank gilt wie jedes Jahr dem Organisator der Veranstaltung, in diesem Jahr aber ganz besonders, waren Planung und Organisation durch Corona doch deutlich komplexer und änderungsanfälliger als sonst: Michael Schlosser hat dies großartig gemacht, sodass es im Rahmen der notwendigen Einschränkungen eine tolle Veranstaltung war; hoffen wir, dass es im kommenden Jahr in Wasserburg am Inn (Organisator: Rolf Kohring) wieder einfacher wird!

Michael Schlosser ist übrigens ein fleißiger Retro-Komponist – häufig mit Rekord- und Konstruktionsaufgaben. Allerdings hat er auch eine der ersten (möglicherweise die allererste) Schach-960 Beweispartie veröffentlicht. Wir erinnern uns: Die (symmetrische) Anfangsstellung wird so ausgelost, dass die Läufer auf verschiedenfarbigen Feldern stehen, dass der König irgendwo zwischen den Türmen steht. Die Rochaden werden dann so durchgeführt, dass sie anschließend „ausschauen wie orthodox“, also z.B. mit sKc8, sTd8 oder wKg1, wTf1.

Michael Schlosser
Die Schwalbe 2007
Beweispartie in 4 Zügen, Schach-960 (16+16)

 

Schach-960-Beweispartien sind normalerweise inhärent komplexer als normale, da üblicherweise nicht nur die Zugfolge, sondern auch die Anfangsstellung zu bestimmen ist. So ist es auch hier.

In der Anfangsstellung müssen sich gleichartige Offiziere auf der ersten und der achten Reihe gegenüber gestanden haben; dies gilt natürlich auch für die Könige. Beide Seiten können nicht rochiert haben, da sowohl bei Schwarz als auch bei Weiß die Könige noch zwischen den beiden Türmen stehen und ein „Rücktausch“ schon aus zeitlichen Gründen, aber vor allen Dingen auch, da kein Bauer gezogen hat, nicht möglich ist.

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Retro der Woche 41/2020

Nachdem wir in den letzten Wochen hier meist schon etwas ältere Aufgaben betrachtet haben, möchte ich heute zum Rücksprung in die Gegenwart ansetzen und eine Aufgabe vorstellen, die im Februarheft 2020 der Schwalbe erschienen ist.

Silvio Baier
Die Schwalbe 2020
Beweispartie in 26 Zügen (12+14)

 

Bei Weiß sind wir mit dem Zählen der sichtbaren Züge sehr schnell fertig. Bei Schwarz lohnt das schon eher: Wir sehen erst einmal 3+1+5+4+3+11=27 Züge: Upps, da kann doch etwas nicht stimmen, denn Schwarz hat nur 26 Züge gemacht. Wo kann man also einen Zug einsparen?

Eine Chance haben wir offensichtlich nur bei den Türmen: Dort hatte ich unter „statischer“ Berücksichtigung der Bauernstruktur und unter Vernachlässigung der anderen Steine gezählt: Th8-f8-f4-b4 und Ta8-c8-c4. Das kann auf dem Damenflügel schon nicht klappen, da dafür [Sb8] hätte ziehen müssen, dafür hat er aber definitiv keine Zeit.

Also muss Tb4 der [Ta8] sein mit Ta8-a4-b4 – und das wiederum setzt einen Kreuzschlag schwarzer Bauern auf der a- und b-Linie voraus. Das aber spart noch keinen Zug, das gelingt uns nur auf dem Königsflügel!

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Retro der Woche 39/2020

Das Elsass lohnt immer, aber besonders jetzt im Herbst, einen Besuch: Vogesen und Rheintal, Straßburg und hübsche kleine Dörfer, Riesling und Zwiebelkuchen.

Aber auch schachlich hat das Elsass eine Menge zu bieten: So kommen Natch und iNatch hierher -– und das ursprüngliche „Elsässische Circe“, das Jean Zeller (27.7.1909-3.1.2002), natürlich Elsässer, vor 40 Jahren einführte und auf Vorschlag von Michel Caillaud diesen Namen trägt; ich hatte es 2013 hier im Blog schon vorgestellt.

Die Regel ist eigentlich recht einfach und macht es zu einem spannenden Grenzgänger zwischen Märchenschach und Retros:

Die Stellung einer Circeschach-Aufgabe muss im Diagramm und nach jedem (Einzel-)Zug auch orthodox legal sein.

Natürlich bietet sich eine Verallgemeinerung an, nämlich anstelle von Circe eine andere Märchenbedingung zu nutzen. (Die Stellung einer Aufgabe mit Märchenbedingung muss im Diagramm und nach jedem (Einzel-)Zug auch orthodox legal sein.) Das geht mit fast allen Bedingungen – wieso aber ist beispielsweise „Elsässisches Duellantenschach“ witzlos?

Ich hatte „Elsässisches Schach“ in einem Vortrag beim Schwalbetreffen 2013 in Sindelfingen vorgestellt (in erweiterter Form in Die Schwalbe, Dez. 2013, S.310f erschienen); Bernd Gräfrath hat es dann für Beweispartien genutzt und darüber in feenschach (Nov.-Dez. 2013, S. 386ff) berichtet; daraus möchte ich ein Stück zitieren.

Bernd Gräfrath
feenschach 2013
Beweispartie in 7 Zügen, Elsässisches Schlagschach (12+12)

 

Bernd gibt hierzu neben der Lösung fünf Verführungen an, die unter Schlagschach-Bedingungen legal sind, aber nicht unter den orthodoxen Regeln. So ist mit Zugumstellungen im Lösungsverlauf 5.bxc8=K möglich –- eine nicht so wirklich orthodox legale Umwandlung. Und da im Schlagschach der König keine königlichen Eigenschaften hat, gibt es auch Lösungen, in denen ein König „im Schach stehen bleibt“: auch das ist im orthodoxen Schach natürlich nicht möglich.

Die einzige Lösung, die sowohl nach den Schlagschach- als auch den orthodoxen Schachregeln legal ist, ist die folgende:

Lösung

Prentos-Schlag 7.– KxLd7.

Hier ist auch die orthodoxe Beweispartie in sieben Zügen eindeutig –- das allerdings ist durch die Bedingung nicht zwingend gefordert.

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass „elsässisches Schach“ noch viele interessante Möglichkeiten mit allen Forderungs-Typen und auch verschiedenen Märchenschach-Arten bietet -– der Retro-Anteil ist ja sozusagen „serienmäßig“ enthalten.

Interessant stelle ich mir auch Aufgaben vor, in denen eine Verführung (wie hier) gemäß der verwendeten Märchenbedingung legal, bezüglich der orthodoxen Regeln aber illegal ist und eine andere Verführung orthodox legal, bezüglich der verwendeten Märchenbedingung aber illegal ist.

Retro der Woche 37/2020

Heute vor acht Jahren saß ich an meinem Rechner, um die letzten Feinheiten für meine neue Website, für meinen Retroblog zu implementieren und zu testen, beides ging dann am 8. September 2012 online, pünktlich zum und knapp vier Wochen vor dem Schwalbe-Treffen in Traunstein.

So lange ist das schon her, und das möchte ich zum Anlass nehmen, einige Stücke aus diesem Jahr hier noch einmal Revue passieren zu lassen.

Beginnen wir mit der zweitplatzierten Beweispartie des Schwalbe-Jahrgangs 2012 (die Beweispartie auf dem zweiten Platz des Turniers hatten wir bereits im Retro der Woche 18/2014 betrachtet).

Silvio Baier
Die Schwalbe 2012, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 23 Zügen (14+13)

 

Machen wir zunächst einmal Inventur: Bei Weiß fehlen zwei Bauern, bei Schwarz drei, nämlich [Be7], [Bf7] und [Bg7], bei Weiß sind dies zwei der drei gegenüberstehenden Bauern: Die Doppelbauern auf der h-Linie können nicht von [Bf2] und [Bg2] gebildet sein: Dies würde drei Schläge erfordern, das wären mit axb3 bereits vier -– bei Schwarz fehlen aber nun drei Steine.

Dieser letzte Bauernschlag zeigt schon: Es werden Umwandlungen benötigt, um die fehlenden Bauern loswerden zu können: Entweder ersetzen sie geschlagene Originalsteine oder haben sich selbst schlagen lassen.

Zählen wir nun die im Diagramm sichtbaren Züge: Bei Weiß sind dies 1+2 (oder 2+1) +0+1+1+3=8 Züge (der Platzwechsel von König und Dame erfordert drei Züge, jedoch wissen wir noch nicht, welche der beiden Figuren doppelt gezogen hat); bei Schwarz haben wir 2+0+1+1+3+2=9 Züge. Damit sind noch 15 bzw. 14 Züge frei.

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