Retro der Woche 17/2024

In der letzten Woche hatten wir hier eine Schach-960-Beweispartie von Per Olin studiert, heute möchte ich euch ein Gemeinschaftswerk von ihm mit Joaquim Crusats vorstellen, in der die beiden die Partieausgangsstellung verraten: Es ist die „normale“!

Joaqium Crusats & Per Olin
Die Schwalbe 2020 Werner Keym gewidmet, Lob
Beweispartie in 23,0 Zügen (14+15)

 

Betrachten wir erst einmal die fehlenden Steine: Insgesamt fehlen genau drei Läufer; dazu passen auch deren sichtbare Schlagfelder, die wir wegen der eindeutigen Felderfarben auch direkt den fehlenden Läufern zuordnen können: [Lc1] starb auf g5, [Lf1] auf c6 sowie [Lf8] auf h5. Damit kommen wir auf drei erforderliche Läuferzüge sowohl bei Schwarz als auch bei Weiß.

Dieses Wissen können wir direkt in die Zählung der sichtbaren Züge integrieren: Wir sehen bei Weiß 0+0+5+0+5+4=14 Züge, bei Schwarz 3+0+5+3+2+5=18 Züge; wir können aber noch jeweils drei Läuferzüge hinzurechnen, kommen also auf 17 bzw. 21 Züge.

Weiterlesen

Retro der Woche 16/2024

Auch unter den Partieschächern erlebt Schach-960 – heute gelegentlich unter den kuriosesten „Marketing-Namen“ – eine Renaissance, und attraktive Probleme mit dieser „orthodoxen Bedingung“ (die Regeln sind in den offiziellen FIDE Schachregeln definiert) gibt es sowieso. Eines davon möchte ich euch heute vorstellen. Wir erinnern uns an die Regeln für die Partieanfangsstellung (PAS): Die erste Reihe wird mit den acht weißen Offizieren zufällig besetzt mit den Einschränkungen, dass die Läufer auf Feldern unterschiedlicher Farbe und der König irgendwo zwischen den Türmen steht. Ansonsten ist es „orthodoxes Schach“, selbst mit unveränderten Rochaderegeln. Die schwarzen Offiziere stehen dann spiegelsymmetrisch.

Bei Beweispartien muss normalerweise die PAS abgeleitet werden – also wie schon in der letzten Woche allerdings völlig andere Synthese aus Retroanalyse und Beweispartien.

Per Olin
Die Schwalbe 2020, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 19,0 Zügen, Schach-960 (16+16)

 

(Bei der Lösungsangabe habe ich mich an der des Autors orientiert.)
Zählen wir die minimale weiße Zügezahl nach Gruppen:a) Bauern 2, b) Springer 4, c) die Diagonalfiguren D, L, L: g2-g3 kommt vor f2-f3, was dem weißen weißfeldrigen Läufer den Zug ermöglicht. f3 mobilisiert den schwarzfeldrigen Läufer; der schwarze Zug b6 muss geschehen, bevor der wL nach b7 kommt. Den wL in einem einzigen Zug nach b7 zu ziehen, bevor f3 und nachdem b6 gespielt wurden, würde die Wege für wD nach a6 und/oder wL nach c7 zu sehr verlängern; daher kommt der Läufer in mindestens zwei Zügen nach b7, und dies geschieht, nachdem wD und wLc7 ihre Diagrammfelder erreicht haben. Das schwarze c5 muss erfolgen, wenn der schwarzfeldrige wL auf b6 steht, und dem muss wD a6 vorausgehen. Der wSh5 und der weißfeldrige Läufer haben auf f1 und h1 gestanden, so dass e1 und g1 für wD und wden anderen wL übrig bleiben. Die Figur, die auf g1 beginnt, braucht zwei Züge und die Figur, die auf e1 beginnt, drei Züge. Dies ergibt ein Minimum von 7 Zügen für die diagonalen Figuren. d) K, T, T: Da bei minimaler Zugzahl die vier Felder e1-h1 die Anfangsfelder der drei Diagonalfiguren und wSh5 sind, beginnen der König und die Türme irgendwo auf a1-d1. Weiß spielt die g-Rochade, zieht den König nach e3, Tf1-f2; nach g2 zieht der andere Turm, der auf der linken Seite des Königs begann. Das bedeutet mindestens 6 Züge, so dass die Gesamtzahl der Züge gemäß unserer Rechnung 2+4+7+6=19 beträgt – alle weißen Züge sind erklärt.

Weiterlesen

Retro der Woche 15/2024

Ziemlich bald nach dem absoluten Zusammenbruch, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen 1946 bereits wieder – teilweise improvisiert – die ersten Problemschachzeitungen in Deutschland. Carl Schrader hatte die Druckgenehmigung der britischen Militärbehörde in Hamburg für den Neustart der Schwalbe erhalten, und am 1. Oktober diesen Jahres erschien auch die erste Ausgabe von „Schachmatt“ als einzelne, handgeschriebene und handgezeichnete und dann hektographierte Blätter, herausgegeben und produziert von Albert H. Kniest; Schachmatt widmete sich, wen wundert das bei dem Herausgeber, hauptsächlich dem Märchenschach.

Mit Blatt 74 stellte sich Karl Fabel am 21. März 1948 als „Bearbeiter für das Retrogebiet“ vor; von und bei ihm erschienen mehrere hochinteressante Artikel. In der Folge „Retro-Rekorde für jedermann!“ griff er ein halbes Jahr später zunächst eine eigene Idee aus dem Jahr 1934 auf, die dann Ende 1948, am Geburtstag des neuen Mit-Herausgebers Peter Kniest, verallgemeinert vorstellte.

Schauen wir uns eine Aufgabe mit dem gegebenen Thema an:

Hugo August
Schachmatt 15.12.1948
33 Einzelzüge, 14 ableitbar (15+12)

 

Die Stellung schaut eher nach einer Beweispartie aus, und das war auch die Idee: Es sollten (nicht-eindeutige) Beweispartien konstruiert werden, bei denen eine Anzahl letzter Züge retroanalytisch eindeutig ableitbar waren. Das ist bei „normalen“ Beweispartien ja nicht der Fall: Allein durch die zeitliche Beschränkung wird die Zugfolge eindeutig; hier geht es aber darum, ohne diese Zugvorgabe eine möglichst hohe Anzahl an eindeutigen letzten Zügen zu erreichen, dabei soll dann eine mögliche Beweispartie, die zu der „u.s.w.-Stellung“ führt, möglichst kurz sein.

Hier ist also nach den letzten 14 eindeutigen Einzelzügen gefragt; die dann resutierende Stellung soll in 33-14=19 Einzelzügen erspielbar sein. Das Verhältnis der Gesamtzügezahl zur Anzahl der eindeutigen soll möglichst klein sein; hier haben wir 33:14=2,36.

Weiterlesen

Retro der Woche 13/2024

Bleiben wir heute noch einmal bei den Aufgaben von Satoshi Hashimoto, den ich ja vor zwei Wochen bereits noch einmal vorgestellt hatte. Auch das heutige Stück finde ich wieder höchst interessant – auch weil es mal wieder mit unseren Erwartungen, unserer Intuition spielt.

Satoshi Hashimoto
Die Schwalbe 2001
Beweispartie in 23,5 Zügen (15+14)

 

Schauen wir zuerst einmal, welche Steine fehlen? Bei Weiß steht nur noch ein Springer auf dem Feld, bei Schwarz nur noch ein Turm, ferner fehlt ihm ein Bauer. Die fehlenden schwarzen Steine wurden eindeutig geschlagen dxTc3 und gxBf3, denn der fehlende schwarze Bauer konnte nicht auf die c-Linie gelangen. Also muss „irgendwo“ auch exf geschehen sein, und das Schlagopfer kennen wir auch: Das muss der Springer gewesen sein.

Der kann auf einem der Felder f3 bis f6 geschlagen worden sein, am „zugökonomischten“ wäre auf f3, da Weiß dann nur zwei Züge dafür benötigt – falls zu dem Zeitpunkt d2 schon frei ist. Ansonsten würde sich f4 anbieten mit drei erforderlichen weißen Zügen, die ebenfalls eindeutig wären: Sc3-d5-f4.

Weiterlesen

Retro der Woche 11/2024

Dass 橋本, 哲 einer meiner Lieblingsautoren von Beweispartien ist, wissen die regelmäßigen Leser dieses Blogs sicher – zumindest, wenn ich den Namen lateinisch notiere: Satoshi Hashimoto (* 24. März 1957). Mit seinem abwechslungsreichen, strategischen Stil macht er mir immer wieder Freude. Eines dieser „tollen Dinger“, wie ich finde, das nun schon 25 Jahre alt ist und noch immer jung und frisch wirkt, möchte ich euch heute zeigen.

Satoshi Hashimoto
Probleemblad 1999, 3. Preis
Beweispartie in 23 Zügen (14+15)

 

Schnell bemerken wir sicher, dass das Zählen der im Diagramm sichtbaren Züge allein nicht allzu ergiebig ist: Bei Weiß sehen wir 0+2+0+4+1+2=9, bei Schwarz 0+0+0+0+5+3=8, wobei wir immerhin bemerken können, dass die fünf Springerzüge alle vom [Sb8] oder zwischen den beiden Springern aufgeteilt erfolgen konnten. Aber wie haben Weiß und Schwarz die übrige Zeit verbracht? Da hilft uns sicherlich die Analyse der fehlenden Steine.

Weiterlesen

Letzter Zug?

In den letzten Retros der Woche habe ich einige ausgezeichnete Aufgaben aus dem Retro-Preisbericht der Schwalbe für das Jahr 2003 vorgestellt (diese Reihe werde ich am kommenden Sonntag beenden), und daraus möchte ich euch heute eine kurze und sehr hübsche Beweispartie vorstellen, mit der ich gleichzeitig eine Frage an euch verbinden möchte: Hättet ihr als Komponisten dieser Aufgabe den letzten Halbzug angefügt oder das Stück als Beweispartie in 6,5 Zügen veröffentlicht?

Und noch mehr interessiert mich natürlich eure Begründung, eure Argumente für eure Entscheidung “pro” oder “contra”.

Klaus Kiesow
die Schwalbe 2003, 4. Lob
Beweispartie in 7,0 Zügen (14+11)

 

Lasst einfach eure Meinung als Kommentar hier — in etwa einer Woche gibt es wie immer hier die Lösung.

Lösung


Die erste Antwort kam (per Mail, um hier nicht zu “spoilern”) von Arnold Beine direkt nach der Veröffentlichung, später auch von anderen mit gleichem Tenor: Ohne die abschließende Rochade ist die Aufgabe kaputt; die Rochade verhindert (quasi “a posteriori”) etwa den Dual 1.e4 d5 2.exd5 Sc6 3.dxc6 Dd4 4.cxb7 Dxb2 5.bxc8~ Txc8 6.Lxb2 Ta8 7.Lc1, da hier [Ta8] bereits gezogen hat.

Gerd Wilts 55

Heute feiert Gerd Wilts seinen 55 Geburtstag. Ganz herzliche Glückwünsche gehen dazu nach München!

Ohne Gerd ist die Internet-Präsenz der Schwalbe kaum denkbar: Nachdem er sich schon sehr früh speziell für Retros interessiert hat — bereits im Alter von 22 Jahren veröffentlichte er zusammen mit Andrej Frolkin das erste Buch über Beweispartien — stürzte er sich dann schnell auf das Thema “Internet”: Präsenz seiner Retro-Sammlung, die er dann mit einem Team ausbaute, um auch “Vorwärts-Probleme” nachspielen zu können. Das war gedacht für die Niemann-Sammlung, daraus wurde dann die PDB, die er immer noch betreut. Und seit beinahe ewigen Zeiten ist er auch der Webmaster des Schwalbe-Internet-Auftritts: Beides sehr zeitaufwändige Arbeiten “im Hintergrund”, die man als Außenstehender kaum sieht, die aber um so mehr gewürdigt werden sollten.

Viel zu selten kommt der hervorragende Komponist dadurch neben Familie, Beruf und Musik, zum Bauen von Retros. Eine Zeitlang hat er sich mit Beweispartie-Zwillingen beschäftigt, die sich ausschließlich in der Zügezahl der eindeutigen Lösungen unterscheidet — je größer der Unterschied, umso beeindruckender. Einen der beiden Rekorde mit einer Differenz von neun (!) Halbzügen — auch das andere Stück ist von ihm — möchte ich euch heute zeigen, euch zum Lösen einladen.

Gerd Wilts
US Problem Bulletin 1997, 3. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 8,5 Zügen, b) in genau 13,0 Zügen (15+15)

 

Viel Spaß beim Knobeln — in etwa einer Woche findet ihr wie üblich hier die Lösung.

 

Lösung

Die b)-Lösung findet ihr als Variante der a)-Lösung.


Höchst interessant, wie Weiß und Schwarz eindeutig die “unnützen” Züge einbauen können!

Retro der Woche 07/2024

So ein Zufall … Da gab Kjell Widlert vor exakt neun Tagen hier seinen Einstand als Autor, da taucht er heute im Retro der Woche schon wieder auf! Die Aufgabe könnte aber auch gut von einem Kölner, einem Mainzer, einem Düsseldorfer stammen, passt sie doch hervorragend zur fünften Jahreszeit, die an diesem Wochenende und den beiden folgenden Tagen ihrem Höhepunkt entgegengeht.

Nicht nur die Lösung, das werdet ihr sehen, sondern schon die Bedingung passt großartig zum Karneval: „Fuddled men“ (“Beschwipste Steine”, oder etwas freier übersetzt: „Betrunkene“) können, nachdem sie gezogen haben, nicht sofort wieder ziehen, sondern müssen mindestens einen Zug lang pausieren, deshalb haben sie auch direkt nach ihrem Zug keine Wirkung auf den gegnerischen König. Diese Bedingung war auch Thema beim 5. Retroblog-Thematurnier; hier findet ihr den Preisbericht — und gerade, weil die Bedingung so prima zu Karneval passt, hatte ich im Retro der Woche am letztjährigen Faschingssonntag den Preisträger dieses Turniers vorgestellt.

Kjell Widlert
Murfatlar-Turnier Batumi 2023, 3. Preis
Beweispartie in 13,5 Zügen, Fuddled men (14+16)

 

Eine lustige, zum Lösen reizende Stellung in der Südhälfte des Bretts hat Kjell dort gezaubert. Weiß hat offenbar vier Züge gemacht (theoretisch können es auch mehr sein), um seine Türme zu opfern – und ist dann zehn Züge lang zum Nichtstun verdammt? Nicht einmal schlagen kann er …

Und was hat Schwarz gemacht? Das lässt sich abzählen: 1+1+2+2+3+3=12 – ein Zug übrig?! Nein, dass Schwarz einen Extrazug benötigt, sehen wir recht leicht:

Weiterlesen