Retro der Woche 27/2023

Zurzeit richte ich die Retros des 11. FIDE World Cup, und da fiel mir auf, dass ich von den letzten beiden hier jeweils nur den ersten Platz vorgestellt hatte. Das letztjährige Turnier gestattete ebenso wie in diesem Jahr ausschließlich orthodoxe Beweispartien, dort belegte eine Aufgabe des Inders Velmurugan Nallusamy den ersten Platz.

Die ziemlich kurze Aufgabe, die den zweiten Platz belegte, gefällt mir ebenfalls sehr gut — auch, weil man direkt durch die Diagrammstellung auf die Thematik gestoßen wird, ohne dass dadurch schon alles klar ist (eigentlich ist da noch gar nichts klar…).

Valeri Semenenko
10 FIDE World Cup 2022, 2. Preis/Silbermedaille
Beweispartie in 15 Zügen (14+14)

 

Sicher ist auch euch sofort der Turm auf e8 aufgefallen — wie kommt der nur dahin?

Bei der Vorstellung der Lösung nutze ich die Anmerkungen des Preisrichters Kostas Prentos, dessen Schlusskommentar ich hier schon gekürzt wiedergebe: „Ziemlich reicher Inhalt sehr kompakt dargestellt … Insgesamt ein hübsches Problem zum Lösen und sich dran erfreuen.“
„Käme sTe8 von h8, dann müssten Lf8 und Sg8 hinaus und wieder zurück gezogen haben, um den Weg frei zu machen. Das dauert fünf Züge. Schwarbz braucht weitere fünf für Ke8>a8, zwei für Ta8>c6 und drei Bauernzüge. Daher wurden Ba7 und Bd7 zuhause geschlagen. Dann bleibt aber keine Zeit für Th1xd7 und dann den Turm wegziehen, um den schwazen König heraus zu lassen Auch Sg1xd7 und Dd1xa7-e3 dauert zu lange.

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Retros im FIDE-Album 2019-2021

Vor einigen Tagen sind die Ergebnisse der Retro-Auswahlfür das FIDE-Album 2019-2021 veröffentlicht worden – natürlich ohne die Aufgaben selbst, aber die genaue Aufschlüsselung, von welchen Autoren Aufgaben aufgenommen wurden.

376 Stücke waren eingereicht worden, von denen 76 ins Album kommen; 24 davon über das WCCI, die anderen 52 durch die Vergabe von mindestens acht Punkten durch die Richter Dmitrij Baibikov, Silvio Baier und Henrik Juel (Direktor war Vlaicu Crișan).

Michel Caillaud hat gleich 20 Aufgaben ins Album gebracht, Andrej Frolkin, Dmitrij Baibikov und Silvio Baier acht sieben bzw. sechs. Die Details könnt ihr dieser Tabelle entnehmen.

Ich bin nun sehr auf die Aufgaben gespannt, aber bis wir die zu sehen bekommen, bis das Album erscheint, wird sicher noch eine ganze Weile vergehen.

Retro der Woche 26/2023

Bleiben wir noch etwas bei den Jahrtausendwechsel-Schwalbe-Retros, den Berichten zu den Jahrgängen 1999 bis 2001.

Gerade der Jahrgang 1999 war etwas für die Anhänger der klassischen Retros: Wir Preisrichter Hans Gruber, Uli Ring und ich haben klassische Aufgaben auf die ersten sechs(!) Plätze gesetzt; das 1. Lob war dann gleichzeitig die bestplatzierte Beweispartie.

Den ersten Preisträger von Andrej Kornilow und Andrej Frolkin hatte ich bereits im Retro der Woche 20/2016 vorgestellt, heute möchte ich euch das drittplatzierte Stück zeigen.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 1999, 3. Preis
Löse die Stellung auf (Letzte 33 Einzelzüge?) (13+13)

 

Offensichtlich muss Schwarz mit der Rücknahme in Form eines Entschlags auf b3 beginnen. Zusammen mit den schwarzen Doppelbauern auf der c- und der f-Linie sind damit alle fehlenden weißen Steine erklärt.

Auch bei Weiß sehen wir zwei Doppelbauern, nämlich auf der b- und der g-Linie. Damit [Be2] verschwinden konnte, musste er schlagen: entweder, um sich auf d8 unzuwandeln, oder, um sich auf der f-Linie zum Schlag anzubieten. Damit sind auch alle fehlenden schwarzen Steine erklärt — und das schließt ein, dass [Bh7] schlagfrei auf h1 umgewandelt hat, um verschwinden zu können.

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Stelvio 1.4

Reto Aschwanden hat heute die Version 1.4 seine Beweispartie-Prüfprogramms Stelvio veröffentlicht, ihr könnt sie wie immer von der Stelvio-Seite herunterladen!

Eine interessante Beschleunigung der Prüfung spezieller Beweispartien, nämlich bei denen im Diagramm ein König im Schach steht, hat er hier implementiert. Schaut euch dazu einfach die Dokumentation an.

Retro der Woche 25/2023

Heute vollendet René J. Millour sein achtes Lebensjahrzehnt, und dazu gehen meine herzlichen Glückwünsche nach Frankreich!

René begeistert mich immer wieder mit großartigen Märchen-Retros, die meist im Diagramm völlig harmlos ausschauen, aber dann sehr eleganten Inhalt mit niemals erwartetem Tiefgang zeigen.

Solch ein Stück habe ich für heute ausgesucht, das ich etwas anders als üblich präsentieren werde: Ich zitiere im Wesentlichen aus dem Preisbericht von Hans Gruber, Uli Ring und mir — übrigens aus dem in der letzten Woche erwähnten Schwalbe-Heft 233.

René J. Millour
Die Schwalbe 2001, 1. Preis
Forderungen im Text, Monochromes Schach (6+8)

 

Gefragt ist nach
a) In welcher Reihenfolge wurden die Springer geschlagen?
b) Ist die schwarze O-O noch möglich?
c) Wie viele Züge hat der weiße König mindestens ausgeführt?
im monochromen Schach (Schwalbe-Lexikon: „Es sind nur Züge erlaubt und legal, deren Ausgangs- und Zielfeld von gleicher Farbe sind. Das gilt auch bei der Beurteilung von Matt und Patt.“)

Zunächst der Kommentar von uns drei Richtern, anschließend, nach dem „weiter“, die ausführliche Lösungsangabe, wie wir sie für den Preisbericht geschrieben hatten.

„Auch unter vielen komplexen Monochrom-Retros des Autors ist dieses Problem eines der Topstücke, vor allem, weil das extrem komplizierte Element `Wer zum Henker konnte Stein X schlagen?’ gleich mehrfach zelebriert wird. Die ökonomie-stiftende Wirkung der Monochrom-Bedingung wird ungeheuer gut genutzt, was sich vor allem in der atemberaubend geringen Steinzahl und im Fehlen jeglichen sichtbaren Bauernschlags im Diagramm zeigt. Die in der Konstruktion verborgenen Retro-Überlegungen sind tiefgründig und reichhaltig.“

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Neuer Schwalbe-Sachbearbeiter

Im Frühjahr 2008 habe ich vom legendären Günter Lauinger die Retro-Sachbearbeitung der Schwalbe übernommen. Ich hatte mir damals vorgenommen, die Aufgabe zehn Jahre lang wahrzunehmen — nun sind es gut fünf mehr geworden.

Ich freue mich sehr, dass ich nun den Staffelstab an einen deutlich jüngeren Retrofreund weiterreichen kann: Ab sofort übernimmt Jochen Schröder (retros@dieschwalbe.de) diese Aufgabe. Lieber Jochen, ich wünsche dir viel Erfolg und auch viel Freude bei dieser neuen Aufgabe.

Euch allen, ob nun Komponisten, Löser, Kommentatoren, Richter, sage ich herzlichen Dank für eure Unterstützung: Ohne eure Beiträge, ohne eure Unterstützung könnte die Retroabteilung der Schwalbe nicht ansatzweise die Qualität und Vielfalt bieten, für die sie weltweit geschätzt wird. Ganz herzlich bedanke ich mich deshalb bei euch allen — und bitte euch gleichzeitig, Jochen genauso toll zu unterstützen, wie ihr es mit mir getan habt.

Dass ich mich nicht aus der Retrowelt zurückziehe, könnt ihr euch sicher denken…

Wolfgang Dittmann 14.6.1933–5.2.2014

Heute möchte ich an den 90. Geburtstag von Wolfgang Dittmann erinnern: Er war nicht nur ein großartiger Retrokomponist, sondern hat die Retroanalyse auch durch sein „Der Blick zurück“ (EDITIONS feenschach–phénix 2006) unglaublich bereichert: Für mich einer der Klassiker der Retro-Literatur neben „Retrograde Analysis“ von Dawson & Hundsdorfer 1915 sowie den beiden Ceriani-Büchern „32 Personaggi e 1 Autore“ 1955 und „La Genesi della Posizioni“ 1961.

Acht Jahre lang hat er sehr erfolgreich die Schwalbe geführt, sein Abschiedsgeschenk an die Mitglieder, “Der Flug der Schwalbe”, der Geschichte der ersten gut 60 Jahre der Vereinigung, haben Hans Gruber und ich vor einiger Zeit in einer zweiten Auflage aktualisiert.

Natürlich ist er als Komponist besonders bekannt geworden durch seine Verteidigungsrückzüger — klassische Procas und später intensiv mit der Anticirce Bedingung. Großartige und komplexe Aufgaben hat er damit gebaut; ein paar wenige findet ihr auch hier im Blog.

„Für zwischendurch“ habe ich jedoch eine kurze Beweispartie mit der Schlagschach-Bedingung herausgesucht, die er auch intensiv bearbeitet hat.

Wolfgang Dittmann
Die schwalbe 1986, 4. ehr. Erw.
Beweispartie in 10,5 Zügen, Schlagschach (16+14)

 

Natürlich war der letzte Zug Be5xSd6 — aber wie kam der an sBd5 vorbei? Das erfordert genaues Manövrieren. Versucht es selbst; in einer Woche findet ihr hier die Lösung.

Lösung

1.e4 Sc6 2.Ke2 Sa5 3.Kf3 Sf6 4.e5 Sh5 5.Kg4 d5! 6.Kxh5 e6 7.Kg4 b6! 8.Kf3 Sb7 9.Ke2 b5 10. Ke1 Sd6 11.exd6

Schwarz kann [Bd7] zum e.p.-Schlag anbieten, wenn Weiß eine andere Schlagmöglichkeit und damit „freie Auswahl“ hat.

Ich schätze mich glücklich, mit Wolfgang befreundet gewesen zu sein, dass ich mit ihm speziell im Zusammenhang mit seinem Buch eng zusammenarbeiten durfte.

Retro der Woche 24/2023

Wer sich über den Stand der Retroanalyse vor etwa 25 Jahren informieren möchte, dem lege ich die Schwalbe-Hefe 232 und 233 (August bzw. Oktober 2008) ans Herz: Dort hatte das Richter-Trio Brand, Gruber und Ring als Ersatz für die ursprünglich nominierten Richter die noch fehlenden Berichte für die Urdruck-Jahrgänge 1999 – 2001 übernommen.

Auffällig ist, dass zu der Zeit „klassische Retros“ den Ton angaben, dass bei den Beweispartien eindeutig Satoshi Hashimoto dominierte. Seinen 1. Preis und die 2. ehrende Erwähnung 2000 hatte ich bereits in den Retros der Woche 03/2020 und 35/2020 vorgestellt. Heute nun sein 4. Preis aus dem 2001er Turnier — wieder die bestplatzierte Beweispartie.

Satoshi Hashimoto
Die Schwalbe 2001, 4. Preis
Beweispartie in 17,5 Zügen (14+15)

 

Das übliche Zählen der sichtbaren Züge führt hier wahrscheinlich zunächst einmal zu Frust, wir wollen es aber trotzdem einmal machen: 0+0+0+0+3+3=6 bei Weiß, 3+2+0+2+1+3=11 bei Schwarz. Ganz so dramatisch ist es vielleicht nicht, weil ja auch noch die weiße Dame und ein Turm geschlagen werden müssen. Zumindest an der Bauernstruktur sieht man aber nicht, wo sie geschlagen worden sein können — vielleicht [Th1] zuhause im Südosten?

Bei Schwarz fehlt nur ein Bauer. Der konnte sich allerdings nicht direkt auf f3, dem sichtbaren Schlagfeld, opfern; er musste also umwandeln, um sich dann selbst auf f3 a la Ceriani-Frolkin zu opfern oder den dortigen Opferstein als Phönix zu ersetzen.

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