Atelier 64

Nach langjährigen Geburtswehen ist endlich (und pünktlich zum WCCC in Belgrad) die schachliche Autobiographie von Zdravko Maslar als Band 14 der FEE=NIX Reihe erschienen:

Zdravko Maslar   Atelier 64 — Ausgewählte Schachaufgaben, kommentiert von meinen Freunden

Der Untertitel verrät schon den originellen Ansatz dieses Buches: Die ausgewählten 180 Aufgaben hat er nicht selbst kommentiert, sondern etwa 100 Problemisten um ihre Kommentare gebeten, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich aus den vielen Andernach-Besuchern — alle bisherigen 42 Andernach-Treffen hat Zdravko ja organisiert.

Dies macht das Buch besonders — und aus meiner Sicht besonders lesenswert. Wer nur Retros sucht, ist hier natürlich falsch, auch wenn ein paar Retros im Buch enthalten sind. Wer aber hervorragende Aufgaben, überwiegend Hilfsmatts genießen will, wer sich für die unterschiedlichen Kommentare interessiert, wer eine Menge Erinnerungen an die Andernach-Treffen lesen möchte, ist hier genau richtig — ebenfalls jeder, der sich an den vielen alten und neuen Fotos, angefangen beim legendären Problemschachtreffen 1958 in Piran, erfreuen möchte.

Dieses Buch gehört wie jeder Band der FEE=NIX Serie zur Pflichtlektüre eines jeden Problemfreundes.

220 Seiten, viele Abbildungen, Fadenheftung Leineneinband, Preis: 35.- € Zahlungen bitte auf das feenschach-Konto bernd ellinghoven:
IBAN: DE44 3601 0043 0101 9724 37
BIC: PBNKDEFF
Auslieferung Mitte August 2016 — oder jetzt beim WCCC in Belgrad.

Und “für Zwischendurch” bringe ich einen Klassiker, der im Buch den Abschluss der ausgewählten Aufgaben bildet:

Zdravko Maslar & Hrjove Bartolović
16. TT problem 1957, 6. Lob
Letzter Zug? (2+10)

 

Retro der Woche 09/2016

Heute möchte ich auf ein fünfzig Jahre altes Problem von Karl Fabel näher eingehen: Nicht nur, weil es eine Idee zeigt, die später mehrfach aufgegriffen wurde, sondern weil ich an diesem Problem ein historisches Diskussionsthema aufgreifen möchte.

Karl Fabel
Die Schwalbe 1966, 2. Preis
-12 & #1, VRZ Proca ohne VV (2+16)

 

Beim Verteidigungsrückzüger nehmen Weiß und Schwarz bekanntlich abwechselnd (natürlich legal) zurück, wobei Weiß das Ziel verfolgt, die Vorwärtsforderung zu erfüllen, was Schwarz zu verhindern sucht.

Beim Typ Proca entscheidet die zurücknehmende Partei, was sie (legal) entschlagen hat, beim Typ Høeg entscheidet dies die andere Seite. Der Zusatz „ohne VV“ (VV=Vorwärtsverteidigung) bedeutet, dass sich Schwarz nicht selbst durch Mattsetzen des weißen Königs verteidigen darf — genau hierauf werde ich am Ende dieses Beitrags noch zurückkommen.

Doch zunächst zur Lösungsidee: Weiß will seinen König nach g4 zurückholen, um dann mit dem Vorwärtszug 1.f5 Matt zu setzen. Hierfür verwendet er den sTa7 immer wieder, um ihn zum Schachschutz gegen die beiden sL im Südosten zu zwingen, so dass er Richtung g4 marschieren kann.

Weiß kann dabei nicht entschlagen, da alle 16 schwarzen Steine an Bord sind — und Schwarz kann z.B. mit dem Turm nicht irgendeinen störenden weißen Stein entschlagen, da alle 14 fehlenden weißen Steine durch schwarze Bauernschläge erklärt sind.

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Retro der Woche 39/2015

In der letzten Woche hatte ich einen Madrasi-Verteidigungsrückzüger von Klaus Wenda vorgestellt, in dem vier e.p.-Schläge vorkamen. Wie schaut der Rekord bei klassischen Retros ohne irgendwelche Zusatzbedingungen aus?

Der liegt bei drei — und ist nun schon hundert Jahre alt: kaum zu glauben! Dass dieses Stück eines der bekanntesten Retros überhaupt ist, ist deswegen nicht verwunderlich, speziell, da es zu einer Zeit entstand, als Retros noch fast „automatisch“ mit Vorwärtsforderungen wie etwa „Matt in zwei Zügen“ verbunden waren, sich fast auschließlich mit möglichst tiefen Begründungen für e.p.-Schlüsselzüge oder den Ausschluss von Rochaden beschäftigten.

Niels Høeg
20 Retrograde Analysis 1915
Welches waren die letzten Einzelzüge? (16+10)

 

Der schwarze König steht im Schach, Weiß muss also mit der Rücknahme beginnen. Bevor wir uns allerdings um diesen ersten Zug kümmern, betrachten wir zunächst wie üblich die Schlagbilanz.

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Retro der Woche 21/2015

Heute möchte ich mal wieder ein wenig in die „Frühgeschichte der Beweispartien“ schauen — und wir sollten daran denken, dass diese Phase vor etwa 30 bis 35 Jahren war; deren bedeutendster Protagonist war sicherlich der junge Michel Caillaud.

Hier nun eines seiner großartiegen Stücke von vor 30 Jahren:

Michel Caillaud
Europe Echecs 1985, 2. Preis
Beweispartie in 26,5 Zügen (14+11)

 

Auffällig ist sofort die Homebase der schwarzen Steine: Es fehlen genau fünf Bauern. Die Stellung der weißen Steine ist nicht ganz so übersichtlich, und daraus werden wir nun versuchen, ein paar Schlüsse für die Lösung zu ziehen.

Beginnen wir mit der Inventur: Es fehlt ein Bauer sowie ein Springer. Der fehlende Bauer kann aufgrund der Positionen der weißen Steine [Ba2] oder [Bg2] sein. Können wir das im Zusammenhang mit den schwarzen Steinen bereits entscheiden?

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Retro der Woche 04/2015

Wir erinnern uns:

Bei den Verteidigungsrückzügern (VRZ) nehmen Weiß und Schwarz abwechselnd (selbstverständlich legale!) Züge zurück, wobei Weiß versucht, das anschließende “Vorwärts-Ziel”, meist ein Matt in einem Zug, zu erreichen, Schwarz dies aber durch geeignete Zugrücknahmen zu verhindern sucht.
Beim Typ Proca entscheidet die zurücknehmende Partei über mögliche Entschläge, beim Typ Høeg die andere.

So ist es hier im Lexikon definiert -– eigentlich eine einfache Sache.

Beide Arten der Verteidigungsrückzüger sind quasi gleichzeitig und unabhängig voneinander erfunden worden, nämlich Ende des Jahres 1923.

Die Definitionen der beiden Typen unterscheiden sich nur in einem einzigen Punkt. Dieser Unterschied führt jedoch zu ziemlich unterschiedlichen Strategien: Während beim Proca-VRZ jede Partei einen kompletten Zug zurücknimmt, schaut das beim Typ Høeg anders aus: Die am Zug befindliche Partei bestimmt nur den eigenen Stein, dessen Zug zurück gespielt werden soll, sowie dessen ursprüngliches Standfeld. Damit ist der Zug aber noch nicht abgeschlossen; dies erfolgt erst durch die Entscheidungen der Gegenseite!

Nun nämlich bestimmt die Gegenpartei (natürlich im Rahmen der Legalität der entstehenden Stellungen), ob diese Zugbewegung einen Schlagfall einschließen konnte oder gar musste. Beantwortet sich diese Frage mit JA, so entscheidet diese Partei, also die Gegenseite, welcher Stein seiner Farbe entschlagen wird. Falls kein Stein aus retroanalytischen Gründen entschlagen werden muss, sondern entschlagen werden kann, so kann sie sich auch entscheiden, keinen Stein einzusetzen.

Diesen Unterschied wollen wir uns anhand des Schemas anschauen, mit dem Niels Høeg seine Idee ursprünglich vorgestellt hat -– das Gedankenspiel, das wir nun vornehmen werden, stammt selbstverständlich nicht von ihm, da er den Typ Proca noch nicht kannte.

Niels Høeg
Eskilstuna-Kuriren 1418, 8.12.1923
-1 & #1,VRZ Høeg (4+3)

Weiß könnte sofort mattsetzen: mit 1.Lg5#, aber auch mit 1.Sf7#. Aber er muss ja zunächst einen Zug zurücknehmen, der natürlich unschädlich sein soll, also weiterhin eines der Satzmatts erhalten soll. Ein beliebiger Springer-Rückzug (z.B. R 1.Sb7-d8) würde Schwarz erlauben, auf d8 einen eigenen Läufer oder eine Dame einzusetzen, und Weiß kann nicht mattsetzen.

Nun erscheint etwa R 1.Le7-h4 ganz pfiffig, denn das behält doch beide Mattdrohungen aufrecht! Aber auch dagegen kann sich Schwarz verteidigen, indem er auf h4 nun einen schwarzen Turm oder eine schwarze Dame ergänzt, und Weiß muss sich nun in seinem Vorwärtszug um die Abwehr dieses Schachgebots kümmern, kann also nicht mattsetzen!

Also bleibt Weiß nur, eine Umwandlung in den Springer zurückzunehmen: R Bd7-d8=S (Schwarz kann nichts einsetzen, da dieser Zug garantiert schlagfrei gewesen ist) würde funktionieren, aber scheitert am Retropatt. R Bc7-d8=S ist im Prinzip wie die Rücknahme eines Springerzuges, Schwarz kann auf d8 also einen Läufer oder eine Dame ergänzen. Also löst nur R Be7-d8=S, und nun kann Schwarz eine beliebige eigene Figur auf d8 einsetzen: Keine verteidigt, so dass Weiß nun mit Lg5 mattsetzen kann.

Interpretiert man die Stellung als VRZ Proca, so könnte Weiß alle möglichen Rückzüge auch zurücknehmen und entweder nichts oder Unschädliches entschlagen, z.B. R Sb7-d8 oder auch R Le7:Sh4 (Entschlag ist erforderlich, da Schwarz sonst retropatt wäre).

Da sieht man schon deutliche Unterschiede!

Schauen wir uns nun die erste „richtige“ VRZ Høeg Aufgabe an:

Niels Høeg
Eskilstuna-Kuriren 1419, 8.12.1923
-2 & #1,VRZ Høeg (8+2)

Weiß nimmt die Turmumwandlung auf b8 zurück: Damit kann Schwarz nichts entschlagen bzw. einsetzen und hat nun genau vier Felder, von denen sein König in seinem letzten Zug kommen konnte.

Kam der schwarze König von a8, so ergänzt Weiß auf a7 einen weißen Läufer, nimmt b6-b7+ zurück und setzt mit Lc6 matt. (Übrigens kann Weiß nicht wBa7 ergänzen: Das wäre legal, aber dann kann er nicht mit b6-b7 das Schach aufheben (sondern nur mit c6xXb7+), da dies zu einer illegalen Bauernstellung führen würde!)

Wie notiert man nun die Lösung? Nun, das kann man machen wie bei allen anderen Retro-Aufgaben auch, also für diese Variante R 1.b7-b8=T Ka8:La7 2.b6-b7+ & vor: 1.Lc6#.

Aber Niels Høeg hatte eine andere Schreibweise vorgesehen und sie in seiner Schrift On Retraction Chess Problems (1927) so eingeführt: „The moves of retraction chess are written down in the form in which the reversed move of ordinary chess would have been written, and added men are stated in [].”

Er hat also bewusst eine abweichende Notation gegenüber der üblichen Retro-Notation, die auch damals schon verbreitet war, gewählt. Der Grund erscheint mir sehr gut und überzeugend: Während beim normalen Retro (und auch beim Proca-VRZ) der komplette Zug vollständig von der zurücknehmenden Partei bestimmt wird (wie im Partieschach), weicht der Høeg-Typ ja hiervon ab. Die zurücknehmende Seite bestimmt ja nur Ausgangs- und Zielfeld ihrer Rücknahme, aber damit ist der Zug ja noch nicht abgeschlossen, sondern dann entscheidet die andere Seite, ob und wenn ja was entschlagen worden sein soll.

Ich schlage allerdings runde Klammern vor, um bei möglichen (Anti-) Circe Aufgaben nicht mit den eckigen Klammern zu kollidieren, die dort ja das Versetzungsfeld angeben.

Damit können dann alle vier Varianten angegeben werden:

R 1.b7-b8=T Ka8-a7(L) 2.b6-b7+ & vor: 1.Lc6#; 1.– Kb8-a7(T) 2.Lc6-d7(beliebig) & vor: 1.Ta8#; 1.– Ka6-a7(L) 2.b6-b7 & vor: Lc8#; 1.—Kb6-a7(T) 2.c2-c3 (einziger neutraler Wartezug!) & vor: 1.b8=D#.

Schaut euch noch einmal genau an, weshalb andere Einsetzungen nicht gehen!

Auch wenn die Høeg-Retraktoren längst nicht so verbreitet sind wie ihre Kollegen vom Proca-Typ, so bin ich fest davon überzeugt, dass hier noch jede Menge zu entdecken ist –- auf dem orthodoxen Gebiet ebenso wie zusammen mit Märchenbedingungen!

2014

Allen Retrofreunden wünsche ich
ein gutes neues Jahr 2014!

Ich möchte das neue Jahr beginnen mit wohl dem ersten Retro, das ich selbst gelöst habe: Es wird nun 100 Jahre alt und passt daher gut zum heutigen Neujahrs-Tag.

Thomas R. Dawson
Falkirk Herald, 17.6.1914
Matt in 2 Zügen (11+6)

 

Das fand ich als Nachdruck irgendwann in den frühen achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der “Heißener Schachpost”, eigentlich einer Vereinszeitung, die aber einen großen monatlichen Problemteil mit Lösewettbewerb hatte, den der später tragisch verunglückte Hans-Christoph Krumm liebevoll leitete.

Dort reizte mich dieses Stück auch, und längeres Probieren ließ mich keinen Schlüssel finden — bis ich dann auf die Idee kam, dass Schwarz ja einen letzten Zug gemacht haben muss. Und das kann nur c7-c5 oder e7-e5 gewesen sein. Also ein e.p.-Schlag, anschließend setzt dieser Schläger banal matt. Aber dann gibt es doch zwei Lösungen, dann ist dieses alte Stück also kaputt?? Und wofür sollen diese ganzen unnützen Bauern auf der 2. bis 4. Reihe gut sein, die ändern doch nichts?

Dann habe ich mir mal angeschaut, wie denn die weißen Bauern in ihre Positionen kommen konnten und festgestellt, dass Weiß zehn Bauernschläge vorgenommen hat. Also alle fehlenden schwarzen Steine sind durch die weißen Bauern gestorben. Das ist ja auch ganz interessant, aber was hilft das?

Eine Menge, wie mir plötzlich auffiel: Dann sind ja auch die beiden schwarzen Läufer von den Bauern geschlagen worden, also auch der schwarzfeldrige von f8. Damit muss der gezogen haben, und deshalb kann e7-e5 nicht der letzte schwarze Zug gewesen sein!

Also war das c7-c5, der Schlüssel ist also b5xc6 e.p., der andere scheinbar mögliche en-passant Schlüssel also eine, wie ich damals fand, trickreiche Verführung!

Nun versteht ihr vielleicht, weshalb ich immer schmunzeln muss, wenn ich diese Aufgabe sehe?

Retro der Woche 22/2013

Wenn zwei Größen wie Michel Caillaud und Reto Aschwanden gemeinsam eine Beweispartie bauen, kann man davon ausgehen, dass das kein “08/15 Stück” wird — und ihr werdet sehen, dass diese Annahme auch für die Aufgabe richtig ist, die ich heute ausgesucht habe.

Michel Caillaud & Reto Aschwanden
Phénix 2005, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 17 Zügen (15+13)

 
Beginnen wir wie üblich mit dem Zählen der erforderlichen Züge: Weiß benötigt mindestens 16, um seine Steine in die Diagrammstellung zu bekommen (3xD, 4xT, 3xL, 2xS, 4xB), ein Zug ist also noch frei. Die Nordost-Ecke des Bretts kann nur dann rechtzeitig von den weißen Steinen erreicht werden, wenn [wLf1] schnell starten kann; dies legt nahe, dass Schwarz rasch auf f3 ein Schlagobjekt bereit stellt.
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mpk 50

Heute gibt es in München Anlass zu einer großen Feier: Wenn vielleicht schon nicht fussballerisch, dann problemschachlich, denn der Münchener Problemkreis (mpk) feiert heute sein 50jähriges Bestehen!

Am 25. Mai 1963 trafen sich im Hotel Torbräu mitten in der Münchener Innenstadt 16 Problemisten zu einem von Max Rieger initiierten Beisammensein, auf dem sofort beschlossen wurde, sich monatlich zu treffen — und diese Tradition hält bis heute an.

Wer am zweiten Sonnabend eines Monats im Raum München weilt, dem kann ich nur empfehlen, das Treffen, das nach verschiedenen Umzügen nun im Seniorenclub in Haar sein Zuhause gefunden hat, zu besuchen. Nehmt vorher einfach Verbindung auf zu Norbert Geissler (Mail: norbert.geissler(AT)ng37.de).

Frank Müller ist derzeitiger Herausgeber der “mpk-Blätter”, den jeweils zum Treffen erscheinenden Mitteilungen des Münchener Problemkreises, die unter anderem einen eigenen Urdruckteil enthalten, für den ich das Vergnügen habe, für die Jahre 2012 und 2013 als Preisrichter zu fungieren. Die Ausgaben können von der (toll gemachten!!) Problemschachseite von Gerald Ettl heruntergeladen werden.

Von hier herzliche Glückwünsche zu diesem tollen Jubiläum — ich freue mich schon auf meinen nächsten Besuch beim mpk!