Retro der Woche 43/2017

Gehen wir heute zurück in die Zeit vor dreißig Jahren. In gewisser Weise waren das die Pionierjahre der Beweispartien: Hauptsächlich Michel Caillaud, aber auch zum Beispiel Andrej Frolkin hatten sich um die Popularisierung der eindeutigen (!) kürzesten Beweispartien bemüht, und das trug nun Früchte, indem immer mehr Komponisten sich auf die Abenteuer dieser wiederentdeckten Forderung einließen.

Einer von ihnen war der Niederländer Jasper van Atten, der zu dieser Zeit um die Fünfzig war und sich intensiv mit verschiedenen Themen, da damals en vogue waren, beschäftigt hat.

Eine seiner Aufgaben möchte ich heute vorstellen.

Jasper van Atten
The Problemist 1987/88, 3.-5. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 19 Zügen (16+15)

 

Schnell sehen wir, dass der einzige fehlende Stein, die schwarze Dame, auf e3 oder e4 geschlagen worden ist.

Das Zählen der notwendigen schwarzen Züge bringt erst einmal nicht allzu viel ein: Hier sehen wir nur 4+0+0+0+s+1=5 Züge, allerdings muss ja auch noch die Dame zu ihrem Schlagfeld ziehen. Damit kommen noch einmal drei (bei Schlag auf e4) oder vier (be Schlag auf e3) Züge der Dame hinzu,

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Retro der Woche 24/2017

Die italienische Schachzeitung Sinfonie Scacchistiche feierte ihren 50. Geburtstag mit einem Jubiläumsturnier in acht Kategorien; in einer von ihnen waren Beweispartien gefordert.

Preisrichter Marco Bonavoglia setzte das folgende Stück auf den ersten Platz, es folgten Aufgaben von Roberto Osorio & Jorge J. Lois (2. Preis) sowie Antonio Garofalo & Enzo Minerva (Ehrende Erwähnung).

Michel Caillaud
Sinfonie Scacchistiche JT50 2016, 1. Preis
Beweispartie in 23 Zügen (14+14)

 

Sowohl bei Weiß als auch bei Schwarz fehlen jeweils zwei Bauern. Die beiden weißen Doppelbauern auf dem Königsflügel können aber die fehlenden schwarzen Bauern nicht direkt geschlagen haben. Daraus können wir sofort schließen, dass die beiden schwarzen Bauern sich umgewandelt haben, um sich anschließend selbst im Osten zu opfern oder schwarze Opfersteine zu ersetzen.

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Retro der Woche 23/2017

Das (Märchen-) Schachtreffen in Andernach, das wie immer am verlängerten Himmelfahrts-Wochenende stattfand, war wieder gut besucht. Erfreulicherweise waren auch einige neue Besucher da, andererseits fehlten dieses Mal ein paar sonst immer gesehene Freunde.

Untern ihnen war auch Ulrich Ring, ein alter Haudegen schon der Frühzeit eindeutiger Beweispartien, wie man hier schon in den Retros der Woche 39/2012, 39/2013 und 27/2014 bewundern konnte. Darüber hinaus ist er auch ein anerkannter Hilfsmatt und Zweizüger-Spezialist, der aber auch tief ins Märchenschach eindringt und dabei auch ein hervorragender Koch ist.

Vor 20 Jahren in Andernach haben wir gemeinsam ein Konstruktionsthema bewältigt, das ich heute gern vorstellen möchte.

Dirk Borst, Thomas Brand, Hans-Peter Reich und Ulrich Ring
Andernach 1987, 1. Preis
Nach Vertauschen von zwei beliebigen Steinen bleibt die Stellung legal (14+14)

 

Dieses Konstruktionsturnier hatte Hans-Heinrich Schmitz ausgeschrieben. Uns vier reizte es schnell, das theoretische Maximum zu erreichen, was HHS im Vorfeld für unwahrscheinlich gehalten hatte, dass es funktionieren konnte.

Schnell sieht man, dass die erste und die achte Reihe frei bleiben müssen, da ein Tausch eines Bauern hierhin sofort die Stellung illegal machen würde. Außerdem muss man natürlich vermeiden, dass illegale Doppelschachs entstehen. Auch muss man höllisch aufpassen, dass keine illegalen Bauernstellungen entstehen.

Dieser letzte Gedanke zeigt übrigens auch, wieso 28 die maximal mögliche Steinzahl ist. „Der 29. wäre ein Bauer, und eine Partei hätte dann 7 Bauern auf dem Brett. Wenn da dann ein weißer Randbauer gegen einen schwarzen Randbauern getauscht wird, entsteht Unmögliches.“ So erklärte es Hans-Heinrich Schmitz in seinem Turnierbericht in feenschach 123, I-VI/1987, S. 34.

Warum müssen denn in der Stellung überhaupt Bauernlücken auftreten? Nun, der Tausch zweier Läufer kann sofort einen schwarzen und einen weißen Umwandlungsläufer nach sich ziehen (z.B. Le2<>Le3), und dafür müssen noch Bauern für die Entwandlung zur Verfügung stehen – und zwar für Umwandlungen auf weißen und auf schwarzen Feldern.

Und euch sei es zur eigenen Überlegung überlassen, wieso keine Bauern auf drei benachbarten Reihen stehen können?

Bei dem Wettbewerb wurde übrigens nur diese eine Aufgabe abgegeben – andere Konstrukteure hatten mitbekommen, dass wir bei 28 waren und dann ihre Bemühungen eingestellt, um sich dann auf andere Kompositionsturniere zu konzentrieren, zum Beispiel auf das Isardam-Turnier: Diese Märchenbedingung hatte einige Wochen zuvor beim Treffen der British Chess Problem Society erprobt worden war.

Hans Heinrich Schmitz hatte übrigens einen Geldpreis ausgelobt für sein Turnier: Den erhielten alle Teilnehmer in Form eines wie ein Hemd gefaltenen Zwanzig-DM-Scheins: Den habe ich heute noch, auch in Erinnerung an diesen großartigen Problemfreund!

Retro der Woche 21/2017

Das Duo Frolkin / Prentos haben wir hier schon mehrfach gesehen, zum letzten Mal im Retro der Woche 45/2016, und von den beiden möchte ich euch heute eine weitere interessante Gemeinschaftsaufgabe vorstellen.

Andrej Frolkin & Kostas Prentos
Orbit 2013, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 15,5 Zügen (15+13)

 

Bei einem kurzen Blick auf das Diagramm fallen sofort die beiden weißen Damen auf b8 und c8 auf, gleichzeitig steht der schwarze König im Schach. Daraus lassen sich doch sicherlich Rückschlüsse auf den Lösungsverlauf ziehen?!

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Retro der Woche 52/2016

Am heutigen Weihnachtstag wieder ein Blick zwanzig Jahre zurück: Hier können wir also wieder „klassische“ Themen erwarten. Passend eine Beweispartie aus dem hohen Norden, wo der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten, mit den Rentieren gestartet ist.

Unto Heinonen
Springaren 1996, 2. Preis
Beweispartie in 19 Zügen (13+12)

 

Nur ein sichtbarer Bauernschlag durch Schwarz, nur zwei durch Weiß, somit bleiben zunächst jeweils zwei Schläge unerklärt. Aber dann fällt uns hoffentlich sofort der fehlende sLc8 auf: Der kann nicht gezogen haben, muss also zu Hause geschlagen worden sein. Und die Überlegungen, wie der verschwunden ist, werden uns helfen, der Lösung auf die Spur zu kommen.

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Retro der Woche 35/2016

Bereits im letzten Retro der Woche hatte ich ein Stück von Kostas Prentos vorgestellt – heute schon wieder? Nun, der Grund ist ganz einfach; Kostas feiert heute seinen 50. Geburtstag; ganz herzliche Glückwünsche an ihn.

Kostas wurde in Thessaloniki geboren, wo er auch Wirtschaftswissenschaften studierte. 2011 wanderte er in die USA aus. Er ist Retro-Sachbearbeiter von StrateGems und vielfache Titelträger: FIDE-Meister im Partieschach und der Schachkomposition, internationaler Lösemeister und internationaler (Retro-)Preisrichter.

Er hatte schon sehr jung angefangen zu komponieren, dann aber eine längere Pause eingelegt. Eine seiner frühen Beweispartien nach dieser Pause möchte ich heute vorstellen.

Kostas Prentos
StrateGems 2002, 1.-2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 17 Zügen (15+13)

 

Betrachten wir zunächst einmal, welche Steine fehlen: Bei Weiß ist das die Dame, bei Schwarz der a- und f-Bauer sowie Lc8. Der Läufer ist natürlich besonders auffällig, da er zu Hause geschlagen werden musste.

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10. WCCT

Gestern sind die Aufgaben, die zum 10. WCCT (World Chess Composition Tournament) eingesandt wurden, veröffentlicht worden. Ihr könnt die Aufgaben, getrennt nach den acht Abteilungen, auf der WFCC Seite herunterladen und anschauen.

Für uns Retrofreunde ist die zehnte Auflage des WCCT eine besondere: Erstmals wurde auch eine Retro-Abteilung ausgeschrieben. Die Befürchtung war immer gewesen, es würden zu wenige Länder teilnehmen. Diese Befürchtung sollte nun aber erledigt sein: 82 Aufgaben (!) wurden eingeschickt — mehr als etwa bei den Drei- und Mehrzügern und den Studien!

Allein unter diesem Gesichtspunkt ist das 10. WCCT schon jetzt ein Riesenerfolg! Aber nun müssen die Aufgaben noch gerichtet werden.

Argentinisches Schach

Bohrte man von Peking aus ein Loch mitten durch die Erde, käme man in der Nähe von Buenos Aires in Argentinien wieder heraus. Dies ist der Grund für den Namen Argentinisches Schach, das Manfred Rittirsch dieses Jahr in Andernach vorgestellt hat: Es ist quasi die Antiform des Chinesischen Schachs.

Beim Argentinischen Schach läuft es also anders herum: Hier zieht eine argentinische Dame, wenn sie nicht schlägt, wie ein Lion, also wie ein Grashüpfer, nur beliebig weit hinter den Sprungstein; argentinischer Turm und Läufer entsprechend. Schlagend ziehen sie wie die orthodoxen entsprechenden Steine.

Eigene Namen haben die Steine auch:

  • Argentinische Dame: Senora (SE)
  • Argentinischer Turm: Faro (FA)
  • Argentinischer Läufer: Loco (LO)
  • Argentinischer Springer: Saltador (SA)

Letzteren müssen wir noch erklären: Der schlägt (nicht wie ein normaler Springer, sondern … [Korrektur 7.5.2016]) wie eine Kombinationsfigur aus Mao und Moa und zieht wie eine Kombinationsfigur aus Maohüpfer und Moahüpfer; ein SAg1 kann also nur schlagfrei nach f3 ziehen, wenn auf f2 oder auf e2 ein Stein steht.

(Informationen und Definitionen zu quasi allen Märchenbedingungen und -Steinen findet ihr im Schwalbe-Märchenschachlexikon.)

Mit argentinischen Schach kann man natürlich auch Retros bauen – Manfred hat bei der Präsentation der neuen Bedingung bereits eine Beweispartie vorgestellt, die ein argentinisch-eigenes Thema zeigt (die “argentinischen Steine” sind im Diagramm nach rechts gekippt dargestellt):

Manfred Rittirsch
Andernach 2016
Beweispartie in 8 Zügen, Argentinisches Schach (13+16)

 

1.e4 FAa4 2.LOe3 FAxe4 3.FAa4 FAh4 4.SAa3 FAd4 5.FAh4 FAxh4 6.LOc5 FAh8 7.h4 FAxa4 8.SAh3 FAa8 mit Platzwechsel der beiden schwarzen Faros bei schwarzer Home Base.

Es macht sicher Spaß, sich mit dieser neuen Bedingung zu beschäftigen, die nun in Andernach „natürlich“ Gegenstand eines Kompositionsturniers ist. Und selbstverständlich können die argentinischen Steine auch “einzeln” als Märchenfiguren genutzt werden, ohne dass sofort alle Steine argentinisch werden. Aber das ist ja z.B. mit den chinesischen Steinen nicht anders.

Nachtrag 11./12.05.2016:
Manfred teilte mir mit, dass Thomas Maeder eine Nebenlösung gefunden hat, nämlich 1.e4 FAa4 2.LOe3 FAxe4 3.FAh4 FAxh4 4.FAa4 SEd4!5.LOc5 SEb6 6.SAa3 FAxa4 7.h4 FAa8 8.SAh3 SEd8. Manfred arbeitet an einer Korrektur, die ich dann sicher hier veröffentlichen werde.