Retro der Woche 05/2023

Mit dem vierten Heft 2022, dem hundertsten insgesamt, hat nach 25 Jahren StrateGems sein Erscheinen eingestellt. Leider ist auch bereits die Website, auf der kurzzeitig alle Hefte als PDF-Datei herunter geladen werden konnten, schon seit ein paar Tagen offline.

Das Ende von StrateGems ist für die gesamte Problemschachwelt, besonders aber für uns Retrofreunde ein Riesenverlust: Nicht nur die Qualität der Urdrucke war dort überdurchschnittlich hoch, was auch der Redaktionsarbeit von Kostas Prentos zu verdanken ist, der die Retroabteilung mehr als 13 Jahre lang geleitet hatte, auch wurden dort viele hervorragende Retro-Artikel veröffentlicht, was wir auch der Mitarbeit von Silvio Baier dort zu verdanken hatten.

Schon jetzt im Januar 2023 ist der Preisbericht für die Retros 2022 erschienen; Richter war Vlaicu Crisan. Darin zeigt sich, dass der Jahrgang 2022 überragend war; ich werde noch auf manche Aufgaben dieses Preisberichts zurückkommen.

Beginnen möchte ich gleich mit einer Sensation, die ich bei den Illegal Clusters kaum für möglich gehalten hätte:

Dmirij Baibikov
StrateGems 2022, 1. Preis (klassische Retros)
Ergänze 25 Steine zu einem Illegal Cluster (1+6)

 

Der bisherige Rekord mit acht Steinen, zu denen entsprechend 24 ergänzt werden sollen, stammt von Hans-Heinrich Schmitz aus dem Jahr 1981: Den solltet ihr euch unbedingt noch einmal ansehen, und ihr werdet feststellen, dass dort eine andere Grundidee als hier verwendet wurde — P0001751.

Wie kann man sich einem Lösungsansatz nähern? Schließlich stehen 32 Steine auf dem Brett, die Stellung ist illegal und wird durch Entfernung eines beliebigen Steins (außer den Königen selbstverständlich) legal. Bei der großen Zahl von Steinen kann ein nicht auflösbarer Käfig mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, da das Entfernen „irgendeines“ Steins außerhalb dieses Käfigs nichts an der Illegalität ändert. Eine illegale Bauernstruktur ist bei einem IC mit 32 Zielsteinen auch nicht denkbar.

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Retro der Woche 50/2022

Im Retro der Woche 43/2022 hatte ich euch den ersten Preis des Schwalbe-Informalturniers des Jahres 2021 vorgestellt, heute möchte ich das bestplatzlierte orthodoxe Problem aus diesem Turnier präsentieren — es landete auf Platz drei.

Andrej Frolkin
Die Schwalbe 2021, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 28 Zügen (13+12)

 

Die ersten Eindrücke des Lösers Silvio Baier: „Eigentlich doch ganz einfach 1.h4 … hxg7, Th8-a6 und dann gibt es einen Sibling-Springer auf g8. Aber weit gefehlt …“

Allerdings, so viel will ich schon verraten, spielt sSg8 dennoch eine thematische Rolle …

Was können wir denn aus der Diagrammstellung schon ableiten? Nun, drei der vier weißen Schläge sind sichtbar: bxa, exd und dxc, wobei noch offen ist ob Bc4 nun der [Bd2] oder der [Be2] ist. Und auch bei Schwarz sind zwei Schläge dxc und fxe. Es fehlen aber auf dem Königsflügel drei weiße und zwei schwarze Bauern, die im Westen nicht direkt geschlagen werden konnten.

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Champagne-Turnier 2022

Das traditionelle Champagne-Turnier im Rahmen des diesjährigen WCCC, organisiert von Michel Caillaud, fordert in diesem Jahr zum Gedenken an den kürzlich verstorbenen Unto Heinonen Retros mit Allumwandlung. Der ausführliche Preisbericht kann über die aktuelle WFCC-Seite angeschaut werden.

Hier bringe ich “für zwischendurch” den 1. Preis der Beweispartie-Abteilung. Michel schrieb dazu u.a.: “A strike of brillancy was sufficient to place this problem before other problems with (presumably) more technical work.”

Igor Wereschtschagin
Champagne-Turnier 2022, 1. Preis, Rustam Ubaidullajew gewidmet
Beweispartie in 10,5 Zügen (11+13)

 

Fällt euch außer dem Thema und der Kürze noch etwas an der Aufgabe auf?

 

Klar, wie immer gibt es die Lösung, die ihr aber sicherlich rasch findet, in einer Woche hier.

Lösung


Noch einmal Michel: “Forgetting the stipulation, one could set a logical puzzle from the diagram: what is missing? A white Bishop on f8 of course! Bold and memorable.”

11. WCCT – Aufgaben

Die bereits angekündigte Broschüre mit den Aufgaben des 11. WCCT ist mittlerweile erschienen und kann auf der WFCC-Seite angeschaut / herunter geladen werden. Die Aufgaben aller acht Abteilungen gibt es auch einzeln; hier der Link zur Retro-Broschüre.

Natürlich komme ich auf dieses Turnier noch zurück!

Retro der Woche 41/2022

Preisrichter Kostas Prentos war vom Gesamtniveau des 10. FIDE-World Cup nicht begeistert, das erstplatzierte Stück allerdings ist schon sehr attraktiv, wie auch ich finde, obgleich das eine oder andere Motiv nicht mehr ganz neu ist. Aber welche Beweispartie ist heute schon vollständig „neu“? In meinem Text orientiere ich mich an Kostas‘ gründlicher Besprechung dieser Aufgabe.

Velmurugan Nallusamy
10. FIDE-World Cup, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (12+15)

 

Alle 20 schwarzen Züge sind sichtbar: 3+2+7+0+0+8=20. Dabei müssen wir bei sTe1 unterscheiden, ob dies der Originalturm (dann benötigt er 3 Züge, der sSg8 zusätzliche 2) oder ein Umwandlungsbauer ist — dann wurde [Th8] zu Hause geschlagen.

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10. FIDE World Cup

Die Ergebnisse des 10. FIDE World Cup liegen nun vollständig vor; den Preisbericht der Retro-Abteilung (in diesem Jahr waren nur orthodoxe Beweispartien zugelassen) von Kostas Prentos könnt ihr euch schon anschauen.

Natürlich werde ich in der nächsten Zeit noch näher auf dieses wie stets hoch dotierte Turnier eingehen.

Silvio Baier verteidigt Weltmeister-Titel

Beim 8. WCCI (World Championship in Composing for Individuals) für die Zeit 2019 bis 2021 gelang es Silvio Baier, seinen Weltmeister-Titel im Komponieren von Retro-Aufgaben zu verteidigen — wie schon beim 7. WCCI belegte er Platz 1 vor Dmitrij Baibikov, dieses Mal mit einem halben Punkt Vorsprung. Auf den dritten Platz kam Kostas Prentos. Allen Dreien, natürlich ganz besonders Silvio, meine ganz herzlichen Glückwünsche!

Unter den 23 Teilnehmern belegten die anderen deutschen Teilnehmer ebenfalls bemerkenswert gute Plätze: Andreas Thoma wurde 7., Arnold Beine 11., Ralf Krätschmer schließlich 16.

Auf das Turnier werde ich natürlich noch ausführlich in den kommenden Wochen zurückkommen.

Retro der Woche 33/2020

Immer wieder sorgt der berühmt-berüchtigte „Kölner Keller“ bei Fußballfans für Aufregung, für immer wieder neuen, nie versiegenden Diskussionsstoff, wenn der „Videoschiedsrichter“ aus dem Keller den auf dem Platz an den Fernseher bittet, um sich noch einmal eine wichtige Szene anzuschauen und dann gegebenenfalls seine bisherige Entscheidung zu revidieren.

Den Videoschiedsrichter brauchen wir bei Preisberichten natürlich nicht, aber auch da gibt es gelegentlich Diskussionen — z.B. „Auszeichnung trotz Vorläufers“? Diese Situation gab es auch beim Retropreisbericht 2020 der Schwalbe aus dem Aprilheft 2022. Dort hatte der Preisrichter eine Aufgabe nicht berücksichtigt, weil sie zu nahe am eigenen Vorläufer sei — diesen Vorläufer hatte ich im Retro der Woche 11/2015 vorgestellt (und den solltet ihr euch dringend jetzt noch einmal anschauen!).

Nun kam Richter Paul Rãican nach der Diskussion mit einigen Retrofreunden, speziell mit Werner Keym zu einem anderen Ergebnis als vorher; im Augustheft vergab er nachträglich einen Spezialpreis für unser heutiges Retro der Woche.

Harry Goldsteen
Die Schwalbe 2020, Spezialpreis
Löse auf! (6+13)

 

Die Matrix hat natürlich große Ähnlichkeit mit Harrys Stück aus dem Jahr 1989 — auch das ist ja ein „nach…“ Problem von Andrej Frolkin; das findet sich in der PDB als P0000096; die Geschichte dieser drei Aufgaben kann auch nachgelesen werden in meinem Artikel „Entschlag auf der Fesselungslinie“, Die Schwalbe Juni 2020, S. 561-563.

Bei Schwarz fehlen die drei Schwerfiguren, deshalb kann Weiß auch noch nicht g5xD/Tf6 zurücknehmen: dem wäre ein illegales Schachgebot gegen den weißen König vorausgegangen. Und nach dem offensichtlichen 1.– Sh7-f8+ steht Schwarz direkt vor dem Retropatt, könnte sofort keinen weiteren Zug zurücknehmen.

Wie kann nun Weiß die Stellung legal halten?

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