Retro der Woche 26/2017

Wir haben schon häufiger gesehen, dass sich in eindeutigen Beweispartien bestimmte Themen gehäufter darstellen lassen als in klassischen Retros. Der Grund liegt in dem „Zeitdruck“, der durch die Forderung vorgegeben ist und dadurch Manöver eindeutig machen kann, die ansonsten umgangen werden könnten.

In der letzten Woche hatte ich hier die erste Dreifachsetzung des Ceriani-Frolkin-Themas in einer klassischen Auflöse-Aufgabe vorgestellt. Heute wollen wir dieses Thema in der Beweispartie betrachten.

Michel Caillaud
Europe Echecs 1983, A. Hazebrouck gewidmet, 1. Preis
Beweispartie in 35,5 Zügen (13+12)

 

Betrachten wir zunächst wie üblich die Schlagbilanzen: Wir sehen, dass die vier fehlenden schwarzen Steine alle von weißen Bauern geschlagen wurden: dxexf und fxgxh. Sofort fällt auf, dass Schwarz über einen kompletten Satz seiner Offiziere verfügt. Es fehlen genau die vier Bauern auf dem Damenflügel, die aber von den weißen Bauern nicht geschlagen werden konnten.

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Niederrhein-Treffen

Am letzten Sonntag, dem 2. April, trafen sich bei Hans-Peter Reich in Neuss einige Problemisten (Hans-Peter Reich, Stefan Höning, Bernd Gräfrath, Bernd Schwarzkopf, bernd ellinghoven, Jörg Kuhlmann, Ralf Binnewirtz und Thomas Brand) zu einem gemütlichen Schach-Nachmittag und -Abend. Bernd Gräfrath hatte im Vorfeld auf die Broschüre Synthetic Games von J. P. Jelliss aus dem Jahr 1998 hingewiesen und speziell nach einer Verbesserung des Rekordes für eine (nicht-eindeutige) Beweispartie unter der Bedingung „Doppellängstzüger“ gefragt, die mit einem Bauernmatt endet. Beim Doppellängstzüger müssen beide Seiten von allen legalen Zügen den geometrisch längsten machen, bei gleicher Länge haben sie freie Auswahl. Bei Rochaden addieren sich die Königs- und Turmwege.

Jelliss hatte (siehe Seite 17) eine Partie in 19 Zügen gefunden und nach einer kürzeren („more subtle“) Lösung gefragt.

Schwierig bei dieser Bedingung ist es, andere Steine als Springer überhaupt ans Laufen zu bekommen…

Beim Treffen selbst hatten wir ein wenig mit der Forderung herumgespielt, aber über das viele Diskutieren und Erzählen dieses Thema ein wenig aus den Augen verloren.

In den Tagen darauf hat sich Bernd Schwarzkopf damit beschäftigt – und auch wirklich eine deutlich kürzere Partie gefunden, die auch noch ziemlich trickreich ist, wie ihr sehen werdet. Zunächst aber herzlichen Dank an Bernd, dass er mir die Aufgabe für den Blog zur Verfügung gestellt hat — und Hans-Peter nochmals für die Organisation und Gastfreundschaft!

Bernd Schwarzkopf
Urdruck
Kürzeste BP (17,5 Züge), die mit Bauernmatt endet, Doppellängstzüger (13+14)

 

Dem Diagramm sieht man noch nicht unbedingt die Feinheiten an, mit denen das Ziel erreicht wird.

1.Sf3 Sf6 2.Sh4 Se4 3.Sf5 Sg5 4.Sa3 Sc6 5.Sb5 Sf3+ 6.exf3 Sd4 7.Lc4 Se2 (Verhindert 9.0-0!) 8.Lxf7+ Kxf7 9.Sh6+ gxh6 10.Sd6+ Kg6 11.Sc4 Sg3 12.Se5+ Kh5 13.Sg4 Sf1 14.Se3 Sxe3 (Nun noch nicht 15.h2-h4, weil Weiß dann im nächsten Zug rochieren müsste.) 15.Tf1 Sc4 16.Th1 Se5 17.h4 Sg6 18.g4#.

Raffiniert wird die weiße (Zwangs-)Rochade, die h4 die Deckung entziehen würde, vereitelt. Und sicher kommt man nicht sofort auf den Gedanken, mit dem Läufer dem schwarzen König den Weg nach draußen zu öffnen?!

Vermag diesen Rekord noch jemand zu unterbieten?

Neuer Längenrekord!

Das heute erschienene Schwalbe-Februarheft wartet mit einer Sensation auf:

Andrej Frolkin und Werner Keym haben den Längenrekord eindeutiger Beweispartien verbessert!!

Sie haben dabei das Schema des bisherigen Rekords, der bei 57,5 Zügen stand (siehe PDB P0000136), genommen, und den beiden ist es in etwa achtmonatiger intensiver Arbeit gelungen, zwei weitere Halbzüge herauszukitzeln, womit sie den Rekord auf 58,5 Züge erhöhen!

Um mit Oliver Kahn zu sprechen: “Hier ist das Ding!”

Dmitri Pronkin, Andrej Frolkin, Werner Keym
Die Schwalbe 2017
Beweispartie in 58,5 Zügen (14+14)

 

In dem Schwalbe-Artikel erläutert Werner Keym die Lösung ausführlich; hier will ich sie unkommentiert wiedergeben in der Hoffnung, dass ihr euch ein wenig damit beschäftigt, um die Motivation einzelner Manöver herauszufinden. Die Autoren bitten übrigens darum, die Aufgabe intensiv zu prüfen!

1.a4 h5 2.a5 h4 3.a6 h3 4.axb7 hxg2 5.h4 d5 6.h5 d4 7.h6 d3 8.h7 dxc2 9.d4 a5 10.Lh6 c1=T 11.e4 Tc5 12.Se2 Th5 13.e5 c5 14.e6 Sc6 15.b8=T a4 16.Tb4 a3 17.Ta4 c4 18.b4 c3 19.b5 c2 20.b6 c1=T 21.b7 Tc4 22.b8=T Da5+ 23.T8b4 Lb7 24.Sbc3 O-O-O 25.exf7 e5 26.Tc1 Lc5 27.f8=T a2 28.Tf3 a1=T 29.Sa2 g1=D 30.Tfa3 Dg6 31.f4 De8 32.f5 g5 33.f6 g4 34.f7 g3 35.f8=T g2 36.Tf5 g1=T 37.Lf8 Tg7 38.Sg3 e4 39.Ld3 e3 40.O-O e2 41.T1c3 e1=T 42.Lc2 Te3 43.d5 T8d7 44.d6 Tdf7 45.d7+ Kb8 46.Dd6+ Ka8 47.Dc7 Sge7 48.d8=T+ Sc8 49.Td7 Thg8 50.h8=T Tae1 51.Th6 T1e2 52.T1f2 Tce4 53.Kf1 Ld4 54.Tfc5 Se5 55.Thb6 Sd6 56.Sf5 Sdc4 57.Sd6 Sb2 58.T3c4 Sf3 59.Db8+.

Wer nun die Geschichte der Beweispartie-Längenrekorde ein wenig nachverfolgen möchte, den lade ich zu einer Tour durch die PDB ein:

Es begann 1913 mit Thomas R. Dawson und 15,0 Zügen (P0002274), wobei er anmerkte “I expect this task to go much further.” — er sollte Recht behalten!

Nach dem 2. Weltkrieg beschäftigte sich Karl Fabel intensiv mit dem Längenrekord, und er fand ein sehr ergiebiges Schema und damit 1947 einen neuen Rekord von 41,5 Zügen (P0001427); dieses Schema haben dann Michel Caillaud 1982 auf 47,0 Züge (P0002337) und fünf Jahre später Karl-Heinz Bachmann auf 48,0 Züge (P0002277) gesteigert. Dann folgte 1989 der schon erwähnte Riesensprung auf 57,5 Züge, der nun 28 Jahre später um einen weiteren Zug überboten wurde.

Meine Frage nicht nur an Andrej und Werner: Haltet ihr 60 Züge für möglich? (Man wird doch noch träumen dürfen…)

Nachtrag 11.02.2017: Der vollständige Artikel zu dieser Aufgabe ist nun im Internet auf der Schwalbe-Seite (unter “Leseproben aus der Schwalbe”) aufrufbar.

Retro der Woche 29/2016

Nachdem ich in den beiden „Retros der Woche“ 27/2016 und 23/2016 den aktuellen Rekord der eindeutigen letzten Züge (ohne Nutzung der 50-Züge-Regel) und dessen Vorgänger besprochen hatte, möchte ich nun dessen Vorgänger vorstellen: Eine Aufgabe, die den Rekord 53 Jahre lang hat halten können — das Stück ist nun genau 75 Jahre alt!

Hugo August
Die Schwalbe 1941
Welches waren die letzten 54 Einzelzüge? (13+14)

 

Der Autor Hugo August war auf den Tag 56 Jahre älter als ich; sein Todesdatum ist mir nicht bekannt. Schon in jungen Jahren fiel er durch Last-Move Rekorde auf und war dann besonders in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts einer der bedeutendsten Retro-Verfasser, der gelegentlich auch Gemeinschaftsaufgaben mit z.B. Karl Fabel und Luigi Ceriani veröffentlichte.

Wie können wir uns nun der Lösung dieser Aufgabe nähern?

Zunächst einmal fallen die beiden weißen Doppelbauern auf, die die beiden fehlenden schwarzen Steine erklären.

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Retro der Woche 27/2016

Auf das Ergebnis der Kompositionsweltmeisterschft der Jahre 2013-2015 hatte ich in der letzten Woche schon hingewiesen. Eine großartige Leistung ist es von Dmitrij Baibikov, dass er seinen Titel aus den Jahren 2010-2012 verteidigen konnte! Alle seine sechs eingereichten Aufgaben erreichten mehr als 8 Punkte und sind damit bereits für das FIDE-Album qualifiziert –- und sein best-bewertetes Stück kam gar auf die Maximalpunktzahl von 12.

Diese Aufgabe möchte ich heute zeigen; da möchte ich euch empfehlen, sie in aller Ruhe nachzuspielen, auch die Verführungen anzuschauen und genau zu überlegen, warum keine Abweichungen auftreten können.

Dmitrij Baibikov
Phénix 2015
Letzte 60 Einzelzüge? (11+11)

 

Wenn ihr kurz zurückdenkt, erinnert ihr euch vielleicht noch an das Retro der Woche 23/2016: Da hatte ich den bisherigen Rekord der längsten eindeutigen Rückzugfolge ohne Benutzung der 50-Züge-Regel (das waren 55 gewesen), vorgestellt. Damit hatte Pascal Wassong 1994 den bis dahin gültigen Rekord von Hugo August aus dem Jahr 1941 (!) um einen Zug überboten.

Die nunmehrige Überbietung durch Dmitrij um mehr als neun Prozent zeigt schon, dass wir es hier mit einem Bob-Beamon-Sprung zu tun haben!

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Retro der Woche 12/2016

Im letzten Retro der Woche hatten wir uns den Rundlauf einer Dame angeschaut; er war motiviert dadurch, dass kein anderer Stein ein Tempo verlieren konnte. Dadurch war sie gezwungen, sich auf eine lange und verwickelte Tour zu begeben, bei ihrem Tempoverlust nicht den gegnerischen König zu stören.

Die heutige Aufgabe betrachtet das gleiche Thema quasi von der anderen Seite: Heute ist es ein König, der als einziger weißer Stein in der Lage ist, ein Tempo zu verlieren; sein pendelfreier Rundlauf ist sogar noch länger als der der Dame in der letzten Woche.

Unto Heinonen
The Problemist 1992 (Version)
Beweispartie in 26 Zügen (12+15)

 

Sofort fällt im Diagramm einerseits das Schachgebot gegen den weißen König auf und andererseits der zweite weißfeldrige schwarze Läufer, der also durch Umwandlung entstanden ist.

Bevor wir uns fragen, was uns diese beiden Tatsachen bei der Lösungsfindung helfen, sollten wir versuchen, die offensichtlichen schwarzen Züge zu zählen, dabei zähle ich den Umwandlungsläufer mit bei den Bauern: 4+2+2+4+1+11=24. Also hat Schwarz noch zwei Züge frei?

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Retro der Woche 11/2016

Eine wie ich finde sehr attraktive Rekord-Aufgabe möchte ich euch heute vorstellen. „Rekord und attraktiv – ist das kein Widerspruch?“ mag nun der eine oder die andere fragen.

Nein, mir gefällt dieses Stück nicht nur wegen seines „Rekord-Inhaltes“ sehr gut. Mich würde interessieren, was ihr davon haltet.

Olli Heimo
Suomen Tehtäväniekat 1997
Beweispartie in 18 Zügen (15+15)

 

Alle Bauern sind noch auf dem Brett – Umwandlungen können wir also ausschließen. Bei Weiß fehlt die Dame, bei schwarz der weißfeldrige Läufer. [Dd1] ist offensichtlich auf c6 gestorben, beim [Lc8] ist das nicht ganz so offensichtlich, auch wenn man vielleicht bereits eine Vermutung hat…

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Retro der Woche 34/2015

Im jüngst erschienenen FIDE-Album 2007-2009 haben zwei Retros die maximale Punktzahl vom zwölf (alle drei Richter gaben also vier Punkte) erhalten: Die Beweispartie von Nicolas Dupont und Gerd Wilts hatte ich hier bereits im Retro der Woche 28/2014 vorgestellt, das zweite Stück möchte ich euch heute zeigen.

Dmitry Baibikov
StrateGems 2008, Preis
Letzte 54 Einzelzüge? (13+11)

 

Relativ schnell sieht man, dass die Stellung nur aufgelöst werden kann, wenn Weiß e2xXf3 zurücknehmen konnte, um erst den schwarzen, dann den weißen König beweglich zu machen, was die Voraussetzung dafür ist, dass der Knoten im Nordosten geöffnet werden kann, was das Freispielen des wKf6 als Voraussetzung hat.

Hierfür muss aber [Lf1] wieder zu Hause sein, um ihn nicht auszusperren. Falls zu diesem Zeitpunkt [Th1] noch nicht zu Hause ist, darf Weiß auch h3-h4 nicht zurücknehmen, um ihn nun nicht auszusperren.

Besonders auffällig sind (neben drei offensichtlichen Umwandlungs-Damen, die vielleicht die einzige kleine Schwäche dieses Problems darstellen) die Fesselungen: Beide weißen Damen sind ebenso wie ihre schwarze Kollegin auf g3 gefesselt; Eine weitere Fesselung entsteht nach dem ersten Rücknahmezug, denn das Schach gegen den weißen König kann ja nur durch Ld8xXe7+ entstanden sein; das Schlagopfer auf e7 ist dann ebenfalls gefesselt — und der ganze Norden endgültig plombiert, da auch beide weißen Türme nun im Käfig gefangen sind.

Betrachten wir nun aber die Stellung ein wenig genauer:

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