Retro der Woche 52/2021

In den letzten Wochen haben wir uns intensiv mit der Geschichte der Längenrekorde eindeutiger Beweispartien beschäftigt, die dann gestern hier ihren Höhepunkt im neuen Rekord fand.

Darum möchte ich heute einerseits die Retro-Art wechseln, andererseits auch ganz aktuell werden; ich möchte euch heute einen orthodoxen Verteidigungsrückzüger vorstellen, der im Juni 2021 in der Schwalbe veröffentlicht wurde und mir sehr gut gefällt. Ihr erinnert euch? Beim Typ “Proca” bestimmt die schlagende Partei, welcher gegnerische Stein geschlagen wurde.

Joaquim Crusats
Die Schwalbe 2021
#1 vor 6 Zügen, VRZ Proca (15+12)

 

Bei so vielen Steinen auf dem Brett, von denen wahrscheinlich einige nicht am Rückspiel bzw. dem Matt teilhaben werden, lohnen sich häufig ein paar retroanalytische Überlegungen vor.

Umwandlungen haben nicht stattgefunden, da alle 16 Bauern auf dem Brett stehen. Bei Weiß fehlt nur [Lf1], der auf b5 geschlagen wurde. Bei Schwarz fehlen Dame, Turm, (schwarzfeldriger) Läufer und Springer; die weiße Bauernstellung verrät nichts über mögliche Schlagfelder.

Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass Schwarz retropatt ist, er im Moment überhaupt keine Zugrücknahme zur Verfügung hat.

Also müssen wir mit dem Schlüssel Schwarz eine Rücknahme ermöglichen, um uns dann um das Matt zu kümmern.

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Retro der Woche 49/2021

Bleiben wir noch ein wenig bei Klassikern der Retroanalyse. Heute möchte ich euch nicht nur eine gute Aufgabe von Thomas Rayner Dawson vorstellen, sondern dabei besonders auf ein Konzept eingehen, das er schon sehr weit entwickelt hat, das auch heute noch fruchtbar eingesetzt wird: Das der Retro-Opposition.

Thomas R. Dawson
The Chess Amateur — dedicated with love to my wife
Wer gewinnt? (11+15)

 

Leicht zu sehen gewinnt der, der am Zug ist — so würde man heute vielleicht einfach fragen, aber zu der Zeit war noch die Verbindung zum Vorwärts-Problem, hier also einer „Studie“, sehr eng; die Emanzipation dazu geschah erst nach dem 2. Weltkrieg.

Aber was ist nun mit „Retro-Opposition“ gemeint? Da möchte ich zwei Definitionen zitieren, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind, sich aber als äquivalent herausstellen. So etwas kommt ja gelegentlich auch in der Mathematik vor.

Dittmann (Der Blick zurück, S. 50) definiert: „Zwei verschiedenfarbige Figuren kommen sich hier in der Weise in die Quere, dass sie aus Tempogründen zur gleichen Zeit dasselbe Feld — oder zwei von einander abhängige Felder — betreten müssen.“

Frolkin (in Velimirović & Valtonen: Encyclopedia of Chess Problems) formuliert es so: „In a particular phase of the retro-play, it can be proved which side is to play, despite there being mobile units on both sides.“

Nun schauen wir uns die Aufgabe genauer an und versuchen dabei, unser Thema zu entdecken.

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Retro der Woche 47/2021

In den letzten Wochen hatten wir uns hier hauptsächlich mit ganz neuen, ziemlich frisch veröffentlichten Stücken beschäftigt — vielleicht ein guter Grund, mal wieder in die Geschichte der Retroanalyse zu schauen.

Alexei Alexejewitsch Troizki (* 14. März 1866 in Sankt Petersburg; † 14. August 1942 in Leningrad während der Blockade durch deutsche Truppen) ist hauptsächlich als Studienkomponist bekannt — manche bezeichnen ihn als den Begründer des modernen Studienschachs. Ihn kennen auch vielen Partiespielern wegen seiner erschöpfenden Analyse des Endspiels „Zwei Springer gegen einen Bauern“. Die Endspieldatenbanken fast hundert Jahre später bestätigten eindrucksvoll die Präzision seiner Untersuchungen.

Troizki hat aber auch einige hervorragende Retros gebaut; eines davon möchte ich heute zeigen. Es erschien im Jahr 1915 in dem berühmten Buch Retrograde Analysis von Thomas R. Dawson und Wolfgang Hundsdorfer in der White’schen Christmas-Serie. Dieses Buch und die Autoren hatte ich anlässlich seines hundertsten Geburtstag in der Schwalbe vorgestellt.

Alexei Troitzki
Retrograde Analysis 1915
Weiß zieht und gewinnt (11+12)

 

Das ist sicher nicht schwer zu lösen, und wer das ganz allein schaffen möchte, ohne meine Überlegungen zur Stellung, der möge nun einfach den folgenden Text noch nicht ausklappen!

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Retro der Woche 45/2021

Während für die Gruppe A des diesjährigen Champagne-Turniers beim WCCC 27 Beweispartien eingesendet worden waren (den ersten Preis hatten wir im letzten Retro der Woche angeschaut), gab es für Gruppe B „sonstige Retros“ nur sechs Einsendungen. Beide Male war das geforderte Thema Derselbe Stein schlägt mindestens zwei Umwandlungsfiguren.

Auch aus dieser Gruppe möchte ich euch den ersten Preisträger zeigen.

Dmitry Baibikov
Champagne-Turnier 2021, 1. Preis Gruppe B
Weiß am Zug. Geschichte der schwarzen Bauern a4 und b4? (10+10)

 

Die Fragestellung fokussiert sofort auf das darzustellende Thema: Die beiden Bauern, nach denen gefragt ist, müssen jeder dreimal geschlagen haben: sBa4 ist [Bd7], sBb4 ist [Be7]. Damit sind auch bereits alle fehlenden weißen Steine erklärt.

Und das sind die beiden weißen Türme sowie vier Bauern. Die aber können allesamt nicht direkt geschlagen worden sein.

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Retro der Woche 41/2021

Ähnlich wie StrateGems, von dessen Pünktlichkeit ich in der letzten Woche berichtet hatte, kann man sich auch beim spanischen Problemas darauf freuen, sich pünktlich zum Quartalsbeginn an einem neuen Exemplar erfreuen zu können.

Problemas ist eine sehr vielsprachige Zeitschrift (natürlich spanisch und englisch, gelegentlich auch mal französisch oder deutsch), die allerdings nicht gedruckt, sondern ausschließlich (kostenlos) im Internet erscheint: Natürlich könnt ihr die .pdf-Datei auf euren Rechner, auf euer Tablet laden, um die Exemplare stets griffbereit zu haben.

Das heutige Beispiel (aus dem Januar-Heft) zeigt die inhaltliche Breite, die komplett vom #2 über Studien und Märchenschach bis hin zu (auch nicht-orthodoxen) Retros reicht; der Verfasser ist regelmäßiger Mitarbeiter von Problemas.

Andrej Frolkin
Problemas 2021
Letzte 6 Züge? 2+2 Grashüpfer (15+11)

 

Die kopfstehenden Damen sind Grashüpfer, die auf Damenlinien ziehen, aber einen Sprungbock brauchen, um direkt dahinter zu landen und dabei ggf. einen gegnerischen Stein zu schlagen. sGa1 könnte also Ga4, Gd4 oder Gxc1 ziehen. Bei Retros gilt die Konvention, dass Märchensteine als durch Bauernumwandlung entstanden angesehen werden.

Bei Weiß fehlt nur [Lf1], der offensichtlich mittels e6xLf5 geschlagen wurde — mehr Schlagfälle stehen Schwarz auch nicht zur Verfügung.

Damit müssen auch die beiden schwarzen Bauernmärsche zu den Umwandlungen in Grashüpfer schlagfrei verlaufen sein. Um zu sehen, wo Weiß möglicherweise geschlagen hat, sollten wir erst einmal bemerken, dass der schwarze König im Schach steht. Das kann Weiß nicht mit Gc6-e8+ zurücknehmen, da der schwarze König ja bereits von c6 aus im Schach gestanden hätte; also muss Weiß entwandeln: R 1.e7-e8=G#.

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Retro der Woche 39/2021

In seinem Retro-Preisbericht für den feenschach-Jahrgang 2019 setzte Andrej Frolkin drei Märchenretros auf die ersten Plätze, den ersten Preis haben wir uns hier in der letzten Woche ansehen können. Heute möchte ich euch das bestplatzierte orthodoxe Stück vorstellen.

Nein, das ist keine Beweispartie, sondern eine ganz klassische Auflöse-Aufgabe, und zwar aus dem Retro-Sonderlösungsturnier, das Gerald Ettl in feenschach-Heft 238 (XI-XII/2019) mit zwölf eigenen Urdrucken ausgeschrieben hatte; im Retro der Woche 16/2020 war ich auf dieses Turnier bereits eingegangen.

Gerald Ettl
feenschach 2019, 4. Preis
Löse auf! (16+13)

 

Weiß hat alle Mann an Bord, Schwarz kann also nicht geschlagen haben. Bei Schwarz hingegen fehlen drei Steine: ein Springer sowie [Ba7] und [Bf7]. All diese Steine wurden von weißen Bauern geschlagen: axb, dxc3 sowie gxf3.

Damit ist klar, dass [Ba7] umgewandelt haben muss, denn er konnte die a-Linie ja nicht verlassen, aber dort auch nicht geschlagen werden. Und deswegen können wir axb auch erst zurücknehmen, wenn der a-Bauer auf a1 entwandelt und sich schon wieder ein Stückchen zurückgezogen hat.

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Retro der Woche 30/2021

Harry Goldsteen hat relativ wenig komponiert, aber fast all seiner Stücke sind von herausragender Qualität (Beispiele findet ihr als Retro der Woche 11/2015 oder 49/2020) — und das zählt ja viel mehr als pure Quantität. Gelegentlich tat er sich zum Komponieren mit Guus Rol (*26.8.1949) zusammen, und dabei sind einige echte Meisterwerke entstanden.

Guus Rol & Harry Goldsteen
Probleemblad 1998, 1. Preis
Schwarz gewinnt (13+13)

 

Die Aufgabe, die ich für heute herausgesucht habe, ist solch ein Meisterwerk. Und schwer ist sie auch: Der starke Löser Joost de Heer schrieb in der PDB dazu: „Marvellous composition, one of the most difficult retros ever, I think.“ Dennoch wollen wir einmal versuchen, die prinzipielle Auflösung zu erarbeiten.

Bevor wir es vergessen, erledigen wir zunächs fix die offensichtliche (und eigentlich überflüssige) Vorwärtsforderung: 1.Txe3 Dxd2#, und nun betrachten wir die Schlagbilanz: Schwarz schlug offensichtlich in seinem letzten Zug Ld3xXc2+, offensichtlich ist auch der Schlag e3xYf2. Damit ist klar, dass sBa3 und sBb2 maximal einmal geschlagen haben können. Also ist sBa3 der [Ba7] — und damit mussten alle drei weißen Schläge durch die drei weißen Bauern auf der a- und b-Linie erfolgen!

Daraus können wir ableiten, dass Schwarz den [Bg2] verschwinden lassen musste (hxBg), und damit sind alle Schläge erklärt. Die zwei fehlenden schwarzen Bauern konnten nicht direkt geschlagen werden; sie müssen also auf c1 bzw. g1 umgewandelt haben.

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Retro der Woche 28/2021

In der letzten Woche hatte ich einen „Zwitter“ aus dem StrateGems Retro-Preisbericht 2018 vorgestellt; heute soll eines der klassischen Retrostücke, die auf den ersten beiden Plätzen landete, vorgestellt werden

Joaquim Crusats & Andrej Frolkin
StrateGems 2018, 1.-2. Preis (klassische) Retros
Letzte drei Einzelzüge? (12+13)

 

Den allerletzten Zug sehen wir sofort: R 1.– g7-g6+. Den Käfig von Südwesten bis Nordosten können wir offensichtlich nur durch die Rücknahme von e7xXf6 auflösen; vorher müssen aber [Th8] und [Lf8] nach Hause gebracht worden sein.

Die Schläge durch Schwarz sind leicht zu sehen: das bereits erwähnte e7xf6; zusätzlich ist sBg2 der [Bd7], benötigte also die restlichen drei Schläge. Der fehlende schwarze Bauer [Bb7] schließlich musste schlagfrei auf b1 in die zweite schwarze Dame umwandeln.

Dies hilft uns dann auch, die weißen Schläge zu identifizieren: einmal gxh, dann mussten [Ba2] und [Bb2] umwandeln, damit Schwarz die fehlenden weißen Steine schlagen konnte. Offensichtlich brauchten wir axb (NICHT [Bb7], da der umwandeln musste) und bxc, um [Bb7] den Weg frei zu machen.

Wir sehen aber schon, dass etwa g4xTh5 nicht erfolgreich sein kann, da der schwarze Turm den Käfig nicht vorab verlassen kann, also nicht nach h8 gespielt werden kann. Deswegen muss aus dem Käfig die Umwandlungsdame freigespielt werden.

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