Retro der Woche 34/2022

Einen Geheimtipp für die Beweispartie-Freunde möchte ich einmal loswerden: Wenn euch eine Beweispartie von Reto Aschwanden über den Weg läuft, solltet ihr sofort alles liegen und stehen lassen, euch sofort auf die Aufgabe stürzen. Denn dieser Verfasser ist Garant für gehaltvolle, interessante und originelle Aufgaben — so ist es auch mit dem heutigen Beispiel.

Reto Aschwanden
Champagner-Turnier 2004, 1. Preis
Beweispartie in 23 Zügen (12+15)

 

Dem kundigen Thebaner verrät übrigens die Turnierangabe schon alles über die Umgebung, in der die Aufgabe veröffentlicht wurde: bei den Weltproblemschachtreffen WCCC richtet Michel Caillaud schon lange ein Retro-Turnier aus, in dem es was zu gewinnen gibt? Richtig! Die Turniere zeichnen sich schon lange durch eine hohe Qualität der eingereichten Aufgaben aus, und so ist es auch hier — bei dem Verfasser ja auch nicht besonders überraschend!

Beim Blick aufs Diagramm fällt sofort die schwarze Umwandlungsdame auf: entweder ist sie thematisch, oder das Thema ist so spektakulär, dass auch ein so großartiger Konstrukteur wie Reto sie als notwendig akzeptiert.

Der einzige Schlag durch Weiß war offenbar axb — und das heißt, dass sich ein schwarzer Bauer auf a1, b1 oder d1 umgewandelt hat. Der einzig sichtbare Schlag durch Schwarz ist hxXg, wobei X entweder der g-Bauer ist (ein weißer Bauer auf dem Königsflügel kann nicht aktiv geschlagen haben) oder ein Turm, denn bei Weiß fehlen die beiden Türme sowie [Bg2] und [Bh2].

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Retro der Woche 31/2022

31.07.22: Vergessene Lösung nachgetragen…

Heute möchte ich euch wieder eine spezielle Idee der Retroanalyse anhand einer Aufgabe vorstellen, die ich in der neuesten Ausgabe von Problemas wiederentdeckt hatte: Es geht um die Zulässigkeit von en passant Schlägen. „Da ist doch alles klar“, könnte man sagen: „Wenn der Doppelzug eines Bauern als letzter Zug eindeutig nachweisbar ist, ist dieser Spezialschlag zulässig — sonst halt nicht!“

Joaquim Crusats
Wolobujew-60 Turnier 2018, 2. ehrende Erwähnung
h#2,5 a posteriori (11+14)

 

Also ein Hilfsmatt in zweieinhalb Zügen: Weiß beginnt im Vorwärtsspiel und setzt mit Unterstützung des Schwarzen matt. Wenn wir nachweisen könnten, dass g7-g5 der letzte schwarze Zug gewesen wäre, gibt es ein paar Matts, z.B. 1.– fxg6 ep 2. Td8 g7 3.Td7 g8=T/D#.

Aber natürlich können wir im Diagramm nicht nachweisen, dass unser Wunschzug auch der letzte des Schwarzen gewesen ist; der könnte auch Ta4-a8 gewesen sein. Doch halt!

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Retro der Woche 20/2022

Noch eine Beweispartie aus dem Preisbericht zum 2020 Retro-Informalturnier der Schwalbe (erschienen im Aprilheft 2022) möchte ich euch präsentieren. Die heutige Aufgabe hätte ich persönlich als Preisrichter sicher etwas höher eingereiht, aber in solch einem engen und hochklassigen Feld ist das nicht verwunderlich, dass nicht alle zu identischen Reihungen kommen. (Und kämen sie es, wäre es ja völlig gleichgültig, wer denn nun richtet…)

Sicher hat sich längst herumgesprochen, dass der Autor hervorragende, strategisch interessante und originelle Beweispartien zu bauen versteht – das zeigt sich auch hier:

Mark Kirtley
Die Schwalbe 2020, Thomas Brand gewidmet, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 20,5 Zügen (11+16)

 

Das übliche und fast reflexartige „sichtbare-Züge-zählen“ hilft uns bei Weiß erst einmal nicht viel weiter: Sichtbar sind nur 1+0+0+0+2+3=6 Züge – nicht einmal ein Drittel! Aber immerhin müssen ja fünf weiße Steine verschwinden, von denen zumindest drei – natürlich nicht [Lc1] – gezogen haben .

Auffällig im Diagramm ist besonders der sTc1, der offensichtlich den weißen Läufer dort geschlagen hat: Wie ist der in den Süden vorgedrungen? Wahrscheinlich über Westen, also über a1, denn über die g-Linie würde er im Zweifelsfall ja kräftig stören.

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Retro der Woche 17/2022

In der letzten Woche hatte ich bereits angekündigt, hier die beiden anderen ersten Preise der insgesamt drei Gruppen des Schwalbe 2020 Retro-Informalturniers vorstellen zu wollen. Heute ist der Sieger des Beweispartien-Wettbewerbs an der Reihe; allein schon die beiden Autorennamen versprechen eine inhaltsschwere Aufgabe.

Reto Aschwanden & Michel Caillaud
Die Schwalbe 2020, 1. Preis
Beweispartie in 29,5 Zügen (14+14)

 

Beim Blick aufs Diagramm entdeckt man schnell zwei weißfeldrige schwarze Läufer. Dieser erklärt den fehlenden schwarzen Bauern, der sich umgewandelt haben muss. Das kann nur der [Bg7] gewesen sein, der auf seinem Weg auf ein weißes Umwandlungsfeld einmal geschlagen haben muss.

Und sein Schlagopfer muss [Bh2] gewesen sein: Der kann wegen der Schlagbilanz nicht auf f6 geschlagen worden sein, und damit sind schon die beiden schwarzen Schläge erklärt. Bei Weiß muss dann auch noch der [Bb2] verschwinden. Direkt kann er nicht geschlagen worden sein, also muss er sich umgewandelt haben, um sich dann auf f6 zu opfern oder das weiße f6-Opfer zu ersetzen.

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Retro der Woche 12/2022

Korrektur 25.3.22: Stellung durch Co-geprüfte (Die Schwalbe VI/2016, S. 525) ersetzt

Im Zusammenhang mit dem Retro der letzten Woche hatte ich erwähnt, dass der Retro-Schwalbe-Jahrgang 2015 „bärenstark“ gewesen sei. Das will ich auch gern noch einmal anhand der Beweispartien zeigen. Den ersten und dritten Preis konntet ihr bereits in den Retros der Woche 33/2019 (mit 12 Punkten im FIDE-Album!) bzw. 52/2020 ansehen. Heute will ich auf das sechstplatzierte Stück eingehen – übrigens die erste der „Nicht-Dupont-Baier“ Aufgaben in diesem Bericht.

Roberto Osorio & Joaquin J. Lois
Die Schwalbe 2015 (V), 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 16 Zügen (13+15)

 

Wenn man sich die Diagrammstellung anschaut, fällt auf, dass der weiße König im Schach steht, dass der Schachzug schlagend gewesen sein muss. Dann fällt auf, dass kein Schlag durch irgendwelche Doppelbauern verraten wird.

Bei Weiß fehlt neben dem [Ba2] noch ein weiterer Bauer (vermutlich der [Bd2], aber das wissen wir noch nicht genau) sowie [Lf1]. Bei Schwarz fehlt nur ein Bauer, vermutlich der [Bc7].

Das hilft noch nicht viel weiter – schauen wir nach den offensichtlichen Zügen.

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Retro der Woche 03/2022

Viele von euch wissen sicherlich, dass ich bei den orthodoxen Verteidigungsrückzüger besonders gern solche mit logischer, möglichst auch noch zweckökonomischer (also „neudeutscher“) Vorplanstaffelung mag. Und wenn dabei dann auch noch retroanalytische Überlegungen und Strategien eine wichtige Rolle spielen, bin ich recht schnell begeistert.

Ein solches Stück möchte ich euch heute vorstellen und zum gründlichen Studium ans Herz legen.

Joaquím Crusats & Andrej Frolkin
StrateGems 2010
#1 vor 13 Zügen, VRZ Proca (13+11)

 

Wir erinnern uns: Beim Verteidigungsrückzüger des Typs Proca entscheidet die am Zug befindliche Partei, ob (und wenn ja was) mit der Rücknahme entschlagen wurde; die Stellung muss natürlich legal bleiben.

Weiß muss in der heutigen Aufgabe nicht nur auf die Erreichung seines Vorwärtsziels achten, sondern dabei auch ein schwarzes Retropatt vermeiden: In der Diagrammstellung hätte Schwarz am Zug keine Rücknahmemöglichkeit. Die drei fehlenden weißen Steine wurden mittels gxf6 sowie hxgxf2 geschlagen; keiner dieser Schläge kann im Moment zurückgenommen werden, und alle anderen schwarzen Steine sind retro-unbeweglich.

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Retro der Woche 47/2021

In den letzten Wochen hatten wir uns hier hauptsächlich mit ganz neuen, ziemlich frisch veröffentlichten Stücken beschäftigt — vielleicht ein guter Grund, mal wieder in die Geschichte der Retroanalyse zu schauen.

Alexei Alexejewitsch Troizki (* 14. März 1866 in Sankt Petersburg; † 14. August 1942 in Leningrad während der Blockade durch deutsche Truppen) ist hauptsächlich als Studienkomponist bekannt — manche bezeichnen ihn als den Begründer des modernen Studienschachs. Ihn kennen auch vielen Partiespielern wegen seiner erschöpfenden Analyse des Endspiels „Zwei Springer gegen einen Bauern“. Die Endspieldatenbanken fast hundert Jahre später bestätigten eindrucksvoll die Präzision seiner Untersuchungen.

Troizki hat aber auch einige hervorragende Retros gebaut; eines davon möchte ich heute zeigen. Es erschien im Jahr 1915 in dem berühmten Buch Retrograde Analysis von Thomas R. Dawson und Wolfgang Hundsdorfer in der White’schen Christmas-Serie. Dieses Buch und die Autoren hatte ich anlässlich seines hundertsten Geburtstag in der Schwalbe vorgestellt.

Alexei Troitzki
Retrograde Analysis 1915
Weiß zieht und gewinnt (11+12)

 

Das ist sicher nicht schwer zu lösen, und wer das ganz allein schaffen möchte, ohne meine Überlegungen zur Stellung, der möge nun einfach den folgenden Text noch nicht ausklappen!

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Retro der Woche 25/2021

Gestern hatte ich an den 25. Schach-960 Geburtstag erinnert; dieses Thema zu vertiefen kann ich gut mit der schon angekündigten Vorstellung von Aufgaben aus dem Probleemblad 2017-2018 Preisbericht verbinden.

Per Olin
Probleemblad 2018, 2. ehr. Erw. 2017–2018
Beweispartie in 14,5 Zügen, Schach-960 (16+16)

 

Um die weißen und schwarzen Türme auf ihre Positionen im Diagramm zu bringen, müssen die Parteien entweder rochiert oder die Könige nach f2 und f7 gebracht haben, um die Türme jeweils durchzulassen. Die Rochade ist hier der schnellere Weg. Die Läufer standen in der Anfangsstellung jeweils auf „östlichen“ Feldern (anderenfallls wären sie noch eingesperrt). Wenn die schwarze Dame zwei Züge macht, beginnt sie ebenfalls auf einem der vier Felder e8-h8; von den entsprechenden Feldern e1-h1 kann die weiße Dame in einem oder zwei Zügen das Feld b6 erreichen. Das Minimum an Springerzügen bekommen wir, wenn die Springer auf d und e beginnen: drei weiße und zwei schwarze Züge.

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