25 Jahre Schach-960

Heute vor 25 Jahren, am 19. Juni 1996, stellte Exweltmeister Bobby Fischer (9.3.1943–17.1.2008) auf einer Pressekonferenz im argentinischen Buenos Aires seine Idee vor, mit der er die Kreativität im Partieschach und das Talent der Spieler wieder mehr in den Vordergrund stellen und das „Auswendiglernen“ von Eröffnungen zurückdrängen wollte: Fischerandomchess, heute eher unter Schach-960 bzw. Chess960 bekannt.

Ohne die grundlegenden Regeln des Schachspiels zu ändern, schlug er vor, die Partieanfangsstellung vor Beginn einer Partie auszulosen, wobei Schwarz und Weiß ihre Figuren gespiegelt an der Mittelwaagerechten des Bretts aufstellen. Die Randbedingungen beim Losen sind, dass die beiden Läufer auf ungleichfarbigen Feldern stehen und der König irgendwo zwischen den Türmen. Die normalen Schachregeln gelten weiter; die Rochade wird auch noch den normalen Regeln durchgeführt und endet mit der aus dem Normalschach bekannten Stellungen (Kg1,Tf1 oder Kc8,Td8). Die Regeln für Schach-960 sind seit 2009 Bestandteil der offiziellen FIDE Schachregeln, 2019 setzte sich bei der ersten FIDE-Weltmeisterschaft im Schach-960 Wesley So gegen Magnus Carlsen durch.

Wie der Name vermuten lässt, ergeben sich durch das Auslosen 960 verschiedene Partieanfangsstellungen; klassisches Auswendiglernen von Eröffnung hilft hier also nicht viel weiter.

Auch für das Problemschach, speziell für die Retroanalyse bietet Schach-960 viele reizvolle Möglichkeiten, die sich aus der Ableitung der Anfangsstellung, aber auch durch Rochade-Besonderheiten ergeben: Während im Normalschach die Rücknahme einer Rochade zu genau definierten Königs- und Turmpositionen führt, ist das beim Schach-960 nicht der Fall: Die Rochade hätte potenziell aus verschiedenen Anfangsstellungen heraus geschehen können.

Zum Mitfeiern „für zwischendurch“ stelle ich euch ein frühes, nicht allzu schweres Schach-960 Retro vor, zu dem ich selbst durch eine kleine Korrektur nach 16 Jahren beitragen konnte.

Bernd Gräfrath
König & Turm 2002; Korrektur Th. Brand 2018
-1w, dann #2, zwei Lösungen Schach-960 (4+1)

 

Wie immer gibt es in etwa einer Woche hier die Lösung!

 

Lösung

I: R 1.Td4-d1 & vor: 1.O-O Kh3 2.Tf3#
II: R O-O-O (Kf1,Td1) & vor: 1.Td4 Kf3 2.Th3#

Vertauschung der Funktion von Rücknahme- und erstem Vorwärtszug. Und warum ist die Rochade-Rücknahme in II eindeutig?

Retro der Woche 17/2021

Vor zwei Wochen hatte ich hier eine der beiden Aufgaben vorgestellt, die sich im Ceriani-Gedenkturnier, dessen Preisbericht vor genau 50 Jahren in Die Schwalbe erschien, die beiden Preise teilte; heute ist nun die andere Aufgabe an der Reihe.

Deren Autor, Josef Haas (28.1.1922—Nov. 2003), war Kriminalbeamter, und seine Retros zeigen immer wieder die Notwendigkeit kriminalistischen Gespürs für das Erschließen der Lösung; die Auswahl seiner Retro-Aufgaben, die er im Jahr 1999 im Eigenverlag veröffentlichte, träge den bezeichnenden Titel „Tatort Schachbrett“ – übrigens eine sehr empfehlenswerte Lektüre!

Josef Haas
Ceriani-Gedenkturnier, Preis ex aequo
Weiß nimmt 1 Zug zurück und setzt in 2 Zügen matt. b) wBb7 > h2 (11+11)

 

Bei Aufgaben dieser Art ist nicht nur das Finden der beiden Lösungen interessant, sondern auch stets die Begründung, weshalb die Lösung des einen Teils nicht im anderen funktioniert — solange dies nicht durch die Zwillingsbildung schon mechanisch ausgeschlossen ist.

Die Aufgabe ist recht komplex, deswegen greife ich hier gern auf die Lösungsangaben von Karl Fabel zurück, die er in „Meisterwerke der Retroanalyse“ (bearbeitet von Werner Keym in sechs immer noch sehr lesenswerten Folgen im Schwalbe-Jahrgang 1981 erschienen) veröffentlicht hat. Dabei bleibt euch immer noch etwas an „Eigenarbeit“ für das komplette Verständnis der Aufgabe. Aber die lohnt, das verspreche ich euch!

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Retro der Woche 16/2021

Wenn der Retro-Kompositionsweltmeister von 2004—2006 die folgende Beweispartie als seine beste (bis zum Jahr 2006 …) bezeichnete, wenn sie im FIDE-Album 10,5 Punkte erhielt, dann kann man schon eine Menge erwarten. Wenn man allerdings nur ins Album schaut und die Schlüsselwörter liest, kann man schon ins Grübeln kommen, wieso ein Richter gar 4 Punkte gegeben hat, denn soo ungewöhnlich ist das eigentliche Grundthema sicher nicht.

Aber es kommt gerade bei Beweispartien nicht nur auf das „was?“ an, sondern auch auf das „wie?“ und auf das „warum?“. Und das ist hier schon bemerkenswert.

Reto Aschwanden
StrateGems 2004, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (14+13)

 

Bei Schwarz ist nicht viel Sichtbares passiert, bei Weiß zählen wir die sichtbaren Züge (wobei wir die lange Rochade voraussetzen, da sie die erforderlichen weißen Züge minimiert): 2+2+3+3+4+6=20: alle weißen Züge haben wir also schon erklärt. Und damit haben wir schon bewiesen, dass Weiß lang rochiert hat, denn sonst brauchte er mindestens einen weiteren Zug, der ihm aber nicht zur Verfügung steht. Damit wissen wir ferner, dass die fehlenden [Bc2] und [Bg2] nicht gezogen haben können, also auf ihren Anfangsfeldern gestorben sein müssen.

Bei Schwarz hingegen sehen wir nur die beiden Bauernzüge, und aufgrund unseres Zählens ist auch klar, dass [Bb7] auf b6 geschlagen wurde. Wie aber sind die beiden anderen fehlenden schwarzen Bauern [Bd7] und [Bf7] verschwunden? 17 Züge hat Schwarz dafür Zeit …

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Retro der Woche 14/2021

Beim Andernach-Treffen 2008 hatten Hans Gruber, Ulrich Ring und ich vereinbart, uns als „Richter-Kollektiv“ anzubieten, um noch ausstehende Preisberichte zu erstellen — nicht nur für Die Schwalbe, sondern auch für andere Zeitungen.

Für das Jahr 2005 war in der Schwalbe kein Retro-Preisrichter benannt worden, sodass wir Anfang 2010 diese Aufgabe übernahmen; in Andernach haben wir nach vorheriger Diskussion per Mail die Schluss-Abstimmung vorgenommen.

Heute möchte ich aus diesem qualitativ hervorragenden Turnier den ersten Preis vorstellen; die Aufgabe gehörte zu den sechs, die Reto Aschwanden zum WCCI 2004—2006 einreichte, bei dem er den Weltmeistertitel im Komponieren von Retros gewann.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2005, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (14+11)

 

Bei Schwarz sind nur zwei Züge des Königs sichtbar, ansonsten scheint es so, als müsse sich Schwarz „nur“ um das Schlagenlassen seiner fünf fehlenden Steine (beide Läufer, drei Bauern) kümmern.

Bei Weiß hingegen sind im Diagramm alle 20 erforderlichen Züge sichtbar, bis auf wenige Ausnahmen (Bg6, Sh2) sind auch die „Zugwege“ aller weißen Steine erkennbar.

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Retro der Woche 11/2021

Bei meinem Hinweis auf die Ausschreibung zum 9. FIDE World Cup war ich kurz auf die historische Entwicklung der Vorwärtsverteidigung im Verteidigungsrückzüger (VRZ) eingegangen. „Mit Vorwärtsverteidigung“, also der Möglichkeit, dass Schwarz nach der Rücknahme eines eigenen Zugs die Vorwärtsforderung selbst erfüllt, ist beim Typ Høeg von Anfang an Standard gewesen, beim Typ Proca hingegen ist/war „ohne Vorwärtsverteidigung“ Standard. Zumindest für den Typ Høeg ist dies eigentlich klar, wenn man berücksichtigt, dass Niels Høeg „Retraktorpartien“ vorsah: Wenn dabei nur eine Seite gewinnen könnte, wäre dies ziemlich langweilig …

In Wolfgang Dittmanns „Der Blick zurück“ kann man nachlesen, wie sich auch für den Typ Proca die Vorwärtsverteidigung mit der Zeit durchgesetzt hat. Eine interessante Nutzung dieser Idee zeigt die Aufgabe, die ich heute vorstellen möchte.

Joaquim Crusats & Andrej Frolkin
Orbit 2010
#1 vor 3 Zügen, VRZ Proca (12+8)

 

Dieses recht kurze Stück ist sicher nicht schwer zu lösen, zeigt aber eine sehr schöne „logische“ Struktur. Mit R: 1.Td1-f1 oder R 1.Td3-b3 & vor: 1.Td8# wären wir schon fertig, wenn nur das Feld e7 nicht zur Flucht für den schwarzen König dienen könnte. Das könnte Weiß nun selbst decken (R 1.Tf7-f1), aber das wäre viel zu langsam, sodass sich Schwarz problemlos verteidigen könnte, z.B. 1.— Kf8-e8, wonach Weiß erst einmal das Schach aufheben müsste.

Weiß muss also zu schwereren Geschützen greifen.

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Retro der Woche 03/2021

In meinem kleinen Nachruf auf Yoav Ben-Zvi hatte ich bereits erwähnt, dass seine thematische Vorliebe auch bei seinen Retros allen Arten von Linienspiel galt. Dies zeigte er sowohl in seinen klassischen Auflöse-Retros als auch in den relativ wenigen Beweispartien, die er komponiert hat.

Eine davon möchte ich heute zeigen, die dies, wie ich finde, sehr hübsch, aber auch recht versteckt zeigt.

Yoav Ben-Zvi
StrateGems 2013, nach K. Soltsien & H. H. Schmitz
Beweispartie in 26 Zügen (16+16)

 

An verschiedenen Stellen des Diagramms schimmert Symmetrie durch, besonders auf dem Damenflügel und auf der g-Linie, die aber auch dort durchbrochen ist. Ferner fällt sicherlich der sTa1 auf, der, das sieht man schnell, mindestens sieben Züge nach dort benötigte, auch wenn wir noch nicht wissen, ob es sich um [Ta8] oder [Th8] handelt: Tc8-c6-d6-d3-c3-c1-a1 ist eindeutig.

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Retro der Woche 53/2020

Im letzten Retro der Woche 52/2020 hatte ich eine hoch platzierte Aufgabe aus der Abteilung „Beweispartien“ des Schwalbe 2015 Retro-Preisberichts vorgestellt, heute nun ein solches Stück aus der Abteilung „Klassische Retros“.

Die drei Preise zeigen höchst unterschiedliche, aber allesamt sehr komplexe Verteidigungsrückzüger; ich möchte euch die darauf folgende Auszeichnung vorstellen, die schon mit ihrer höchst originellen Aufgabenstellung hoffentlich zum Lösen reizt.

Jens Guballa
Die Schwalbe 2015, 1. ehrende Erwähnung
Ergänze den wK und nimm den letzten weißen Zug so zurück, dass Schwarz nie mehr rochieren darf. (13+11)

 

wLh2 ist offensichtlich ein Umwandlungsstein, der aus [Ba2], dem einzig fehlenden weißen Bauern, entstanden sein muss. Einer der zwei schwarzen Schläge war bxc, der andere ist nicht durch Bauernschlag geschehen. (Achtung, nicht von der Steinkontrolle verwirren lassen: Weiß muss ja noch den König einfügen, hat also „eigentlich“ 14 Steine auf dem Brett. Sich jetzt hier auf die Angabe „13“ zu verlassen ist ebenso fahrlässig, wie beim „Partyschach“ die Klötze neben dem Brett zu zählen, nicht die auf dem Brett…)

Daher könnte man auf den Gedanken kommen, den [Th8] auszusperren, etwa indem Weiß die Rücknahme von g6-g7 erzwingt: Ein Kreuzschlag der [Bg7] und [Bh7] ist ja nicht möglich; es hätte der schwarze König Platz für den Turm machen müssen, und damit wäre das Rochaderecht verwirkt. (Das “Platz machen” hätte er ja auch durch die Rochade tun können, aber auch damit wäre je eine zukünftige Rochade ausgeschlossen…) Doch scheitert etwa +wKe5, dann zurück Kf4xTe5? an illegalem Doppelselbstschach.

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Retro der Woche 51/2020

Auf das gerade erschienene Schwalbe-Doppelheft hatte ich schon hingewiesen. Nun möchte ich ein Beispiel aus dem dort erschienenen Artikel Passagiertürme – neue „erster Zug?“ Ökonomierekorde von Andrej Frolkin und Andrew Buchanan vorstellen.

Man sollte meinen, „erster Zug?“ Darstellungen für Türme seien unmöglich, da man ja jede Partie etwa mit dem „Tänzchen“ 1.Sa3 Sa6 2.Tb1 Tb8 3.Ta1 Ta8 4.Sb1 Sb8 einleiten kann, ohne dass sich dies beweisen oder widerlegen lässt. Da kam Andrej Frolkin auf den Gedanken, dass man doch die Rochade als Königszug anzusehen habe, und wenn die durchgeführt ist, ist gezeigt, dass der mit-rochierende Turm noch nicht gezogen hat.

Wenn man also nachweisen kann, dass beispielsweise der letzte Zug eines Turms von seinem Rochade-Zielfeld ausging, dann die Rochade zurückgenommen werden musste, dann war der letzte Zug dieses Turms gleichzeitig sein erster: In der Rochade zieht der Turm nicht selbst, sondern ist quasi ein Passagier des Königs – daher der Titel des Artikels.

Andrej Frolkin & Andrew Buchanan
Die Schwalbe 2020
Erster Zug des wTf8? (14+9)

 

Betrachten wir zunächst die Stellung, bevor wir die Rücknahmen in Angriff nehmen: Schwarz schlug c7xb6 und fxe; bei Weiß fehlen ein Turm und der schwarzfeldrige Läufer. Die weißen Umwandlungen: c8=L, fxg8/e8=L. Weiß schlug fünfmal mit Bauern (axbxa, bxc > c8=L, f7xg8/e8=L sowie g2xBh3 ([Bh7] kann seine Linie ja nicht verlassen haben); die schwarzen Original-Läufer wurden zuhause geschlagen.

Um den kleinen Käfig im Nordwesten zu öffnen, ist die Rücknahme von b7-c8=L und c6-c7 nötig, gefolgt von c7xb6. Ein Versuch, Lc6 oder Lg2 zu entwandeln, scheitert:

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