Retro der Woche 46/2015

Heute möchte ich mit euch zurück in die „Jungsteinzeit“ der Beweispartien — in eine Zeit, als sich die Beweispartien als eigenständige Retro-Form etablierten, als man nämlich entdeckte, welche Reize in deren Eindeutigkeit stecken konnten.

Schauen wir uns die heutige Aufgabe also einmal genauer an.

Nikita Plaksin & Michel Caillaud
feenschach 1982, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 25,5 Zügen (12+13)

 

Betrachtet man die Stellung ein wenig genauer, merkt man sofort, dass sTa2 ein Umwandlungsstein ist, denn über die erste Reihe konnte er wegen [Lc1] niemals nach a2 gelangt sein. Wegen des schwarzen Doppelbauern auf der a-Linie muss sich also [Bd7] auf a1 umgewandelt und dazu auf a2 [Ta1] geschlagen haben — und damit sind auch alle schwarzen Schlagfälle erklärt.

Bei Weiß fehlen neben [Ta1] noch [Bf2], [Bg2] und [Bh2], die allesamt nicht direkt geschlagen worden sein können; sie müssen sich also alle drei umgewandelt haben. Neben exXd3 stehen Weiß noch zwei Schläge zur Verfügung, und damit ist klar, dass sich die drei Bauern alle auf g8 umgewandelt haben.

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Retro der Woche 44/2015

Fast auf den Tag genau vor fünf Jahre habe ich den Retro-Preisbericht für den 2008er Jahrgang des niederländischen Probleemblad fertiggestellt, nachdem mich die Redaktion keine zwei Monate vorher gebeten hatte, die Richter-Vakanz für die Jahre 2007 und 2008 zu beenden.

Das war aus meiner Sicht ein bemerkenswertes Turnier: Quantitativ nicht gerade berauschend (nur 18 Aufgaben), aber von so hoher Qualität, dass ich sieben Stücke, also beinahe 40 Prozent, auszeichnen „musste“. Das mittig platzierte Stück möchte ich euch heute zeigen.

Michel Caillaud
Probleemblad 2008, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 23 Zügen (13+13)

 

Bei Schwarz fehlen offensichtlich ein Turm, [Lf8] sowie [Bh7], bei Weiß [Lc1], [Ba2] und [Bh2]. Die drei offensichtlichen Bauernschläge waren dxc6, gxf6 und gxf3.

Das übliche Zählen offensichtlicher Züge hilft uns hier nicht allzu sehr weiter: 4+3+0+3+2=12 bei Weiß, gar nur 0+1+0+2+1+2=6 bei Schwarz. Drum schauen wir nun nach markanten Stellungsmerkmalen.

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Rückkehren

Vor einigen Tagen erschienen auf Julia Vysotskas Märchenschachseite gleich zwei orthodoxe (!) Beweispartien, die Rückkehren von Steinen auf ihr Ursprungsfeld thematisieren.

Mit diesem Hinweis sollten die Aufgaben nicht allzu schwer zu lösen sein; ansonsten findet ihr die Lösungen bei Julia — aber selbst lösen macht viel mehr Spaß!

Joost de Heer
918 juliasfairies.com 8.10.2015, Gligor Denkowski zum Gedenken
Beweispartie in 12,5 Zügen (14+16)

 

 

 

Daniel Novomesky
929 juliasfairies.com 13.10.2015
Beweispartie in 14,0 Zügen (12+14)

 

 

 

 

Welche der Aufgaben gefällt euch besser — und warum?
 

 

Retro der Woche 41/2015

Nach meinen Glückwünschen zu seinem Geburtstag erhielt ich eine sehr freundliche und persönliche Mail von Erich Bartel, in der er sich unter anderem sinngemäß als blutigen Retro-Laien bezeichnete.

Das hat mich natürlich gereizt und mich veranlasst, doch mal genauer nach seinen Retros zu schauen.

Viele seiner Retros sind kleine, pointierte Hilfsrückzüger, aber dann stolperte ich über eine Aufgabe von ihm, die ich heute vorführen möchte, die so gar nicht nach blutigem Laien ausschaut.

Erich Bartel
Die Schwalbe 1968
#1 vor 8 Zügen, VRZ Proca (6+15)

 

Im Verteidigungsrückzüger nehmen bekanntlich beide Seiten legale Züge zurück; Weiß versucht dabei, eine Stellung zu erreichen, in der er die Vorwärtsforderung (hier also Matt in einem Zug) erreichen kann; Schwarz versucht das zu verhindern. Beim Typ Proca entscheidet die zurücknehmende Partei, ob und ggf. was sie mit der Zugrücknahme entschlagen hat.

Nehmen wir zunächst eine Inventur der Stellung vor:

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Retro der Woche 40/2015

Im gerade erschienenen Oktober-Heft von StrateGems finden sich die Preisberichte für Beweispartien und (übrige) Retros für das Jahr 2014; Richter war Bernd Gräfrath.

Während sich seine Zufriedenheit mit den restlichen Retros sehr in Grenzen hielt (von den 14 Aufgaben des Jahrgangs zeichnete er nur ein Anticirce-Proca von Weeth/Wenda aus), war er von der Qualität der Beweispartien sehr angetan, dort hat er 10 von 24 teilnehmenden Aufgaben ausgezeichnet.

Der erste Preis ging an folgende ukrainisch-französische Gemeinschaftsproduktion: Bei den Autorennahmen kann man natürlich eine Menge erwarten, und es lohnt sich auf alle Fälle, das Stück genau zu analysieren.

Andrej Frolkin & Nicolas Dupont
StrateGems 2014, 1. Preis
Beweispartie in 28,5 Zügen (13+13)

 

Die übliche Züge-Zählerei scheint uns nicht allzu sehr weiter zu bringen. Bei Weiß ergeben sich, wenn man von kurzer Rochade ausgeht, 1+1+4+2+3+4=15 Züge, bei Schwarz 2+2+2+3+3+2=14 Züge — dabei haben wir schon berücksichtigt, dass [Sb8] gezogen haben muss, um [Ta8] heraus zu lassen.

Schauen wir uns also noch an, welche Steine fehlen.

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Retro der Woche 37/2015

Mitte März hatte ich das heutige Problem im Blog schon vorgestellt — allerdings noch ohne Lösung, da die Aufgabe noch im Lösewettbewerb von Probleemblad stand. Nun ist die Lösung erschienen, und ich möchte euch diese Aufgabe noch einmal ans Herz legen.

In der Anmoderation hatte Spaltenleiter Roberto Osorio von “surely hard to solve, with an extremely hidden maneuver” geschrieben, und das wollen wir uns nun einmal anschauen.

Satoshi Hashimoto
Probleemblad 2015
Beweispartie in 22,0 Zügen(10+14)

 

Seine Kommentar zu diesem Blog-Eintrag letete allerdings Silvio Baier so ein: „Satoshi komponiert relativ wenig, aber immer hochwertig und mit hochinteressanten Ideen. Allzu schwer fand ich es aber nicht zu lösen.“ Wer hat bezüglich der Schwierigkeit Recht, Silvio oder Roberto? Vielleicht versucht ihr es für euch selbst herauszufinden.

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Retro der Woche 36/2015

Heute möchte ich euch eine Alice-Schach Beweispartie aus René J. Millours neuem Buch „Subtleties on 64 Squares“ vorstellen.

Kennt ihr Alice-Schach? Wenn nicht, hier die Definition aus dem immer wieder empfehlenswerten Schwalbe-Lexikon:

„Es wird auf zwei 8×8-Brettern gespielt: Bretter A und B. Nach jedem Zug (wahlweise auf einem der beiden Bretter) wird der gezogene Stein als unmittelbare Zugfolge auf das analoge leere Feld des anderen Brettes versetzt. Ist das zugehörige Feld nicht leer, wäre der entsprechende Zug illegal. Ein Schlagfall ist also nur auf demjenigen Brett möglich, auf dem der Zug auch startete. Geschlagene Steine verschwinden vom Brett. Der König darf durch einen Zug seiner Partei weder vor dem Brettwechsel des Zugsteines noch danach einem Schachgebot auf seinem Brett im herkömmlichen Sinne ausgesetzt sein. In der Partieanfangsstellung stehen alle 32 Steine auf Brett A.“

Es hat sich eingebürgert, die Alice-Stellungen auf nur einem Brett darzustellen und dabei die Klötze, die auf Brett B stehen, auf den Kopf zu stellen: Laut Definition kann ja nie das gleiche Feld auf Brett A und Brett B besetzt sein.

Interessante Möglichkeiten gibt es mit Alice-Schach: Zum Warmwerden versucht doch einmal, einen weißen und einen schwarzen Bauern auf der gleichen Linie schlagfrei aneinander vorbei zu bringen.

René J. Millour
StrateGems 2007, 3. Preis
Beweispartie in 21,0 Zügen, Alice-Schach A(8+11) B(6+3)

 

Auch wenn das im ersten Moment kompliziert ausschaut, so kann man gerade bei Alice-Schach sehr gut Züge zählen: Man sieht sofort, ob ein Stein eine gerade (aufrecht stehend) oder ungerade (auf dem Kopf stehend) Anzahl von Zügen gemacht hat. Übrigens verschwinden bei der Rochade König UND Turm auf Brett B.

Beim Züge-Zählen habe ich mich an René’s Beschreibung im Buch orientiert.

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Retro der Woche 24/2015

Heute will ich mit euch einmal keinen Blick in die Geschichte der Retroanalyse werfen, sondern eine Beweispartie vom Ende letzten Jahres vorstellen, die zu lösen mir viel Freude bereitet hatte.

Unto Heinonen
Probleemblad 2014
Beweispartie in 26,5 Zügen (11+15)

 

Ziemlich vogelwild erscheint im ersten Moment die Diagrammstellung, und die Anzahl der direkt sichtbaren weißen Züge (0+1+0+1+0+2=4) bringt uns der Lösung auch noch nicht viel näher.

Wie schaut es bei Schwarz aus? Dort zählen wir 3+1+3+4+5+4=20 — das ist schon deutlich mehr!

Nun betrachten wir die fehlenden Steine: bei Weiß sind es gleich vier Bauern und ein Springer, bei Schwarz nur der a-Bauer.

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