Andernach

Von heute bis zum Sonntag findet in Andernach zum 41. Mal das Märchenschach-Treffen statt, das alljährlich aus Nah und Fern Problemisten anzieht. Wer sich noch kurzfristig zu einem Besuch, vielleicht nur an einem der Tage, entschließt, kommt zum Ratskeller (Hochstraße 33) in Andernach — “Uralt-Besucher” wird die Adresse noch bekannt vorkommen: Das ist das Lokal, das Zdravko Maslar bis zu seinem Ruhestand geführt hatte, in dem bis dahin die Treffen seit 1975 immer stattgefunden hatten.

Nicht nur die “reinen” Märchenschächer fühlen sich in Andernach wohl, auch viele “Orthodoxe” finden ihren Weg dorthin, und auch der Anteil der Retrofreunde ist dort hoch.

Bei den Märchenschach-Kompositionsturnieren werden auch immer wieder Retro-Turniere durchgeführt; zum Einstimmen hier der “Retro-Sieger” des Turniers 2012: Dabei ging es um (Märchen-) Beweispartien, die den “Kampf gegen die Bedingung” zeigen, in der also die Bednigung nicht genutzt wird, um ein Thema möglichst einfach darzustellen, sondern wo sich die Bedingung als Hindernis im Erreichen des Problemziels erweist.

Michel Caillaud
Andernach 2012, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen, Madrasi (14+14)

 

Kurz sei die Bedingung Madrasi erklärt: Wird ein Stein (außer König) von einem gleichartigen Stein des Gegners beobachtet, wird er gelähmt und verliert während der Beobachtung jede Zugmöglichkeit und Wirkung außer seinerseits gegnerische gleichartige Steine zu lähmen. Eine Rochade (=Königszug) mit einem gelähmten Turm ist möglich. Ein doppelschrittig ziehender Bauer ist e. p.-schlagbar. Mit dem Zusatz “rex inklusiv” können sich auch Könige gegenseitig lähmen.

Lösung: 1.c4 Sa6 2.Da4 Tb8 3.Dc6 bxc6 4.Sh3 Tb3 5.Tg1 Ta3 6.bxa3 Sb8 7.Lb2 La6 8.Le5 Lb5 9.Ld6 exd6 10.Sc3 Df6 11.Td1 Df3 12.gxf3 La4 13.Tg3 Lc2 14.Sg1 Lg6 15.Lh3 Lh5 16.Lf5 d5 17.Lc2 Lg4! (Tempo) 18.La4 Lf5 19.Lb5 Lc2 20.La6 La4 21.Lb7 Lb5 22.La8 La6 23.Sb1 Lc8 24.Lb7

Preisrichter Hans Gruber schrieb dazu: “Das Problem ist thematisch, indem sehr hoher Aufwand nötig ist, um eine Madrasi-Lähmung des sLc8 vor dem letzten Halbzug zu vermeiden: Der sLc8 muss zum Königsflügel, mit zusätzlichem Tempozug (Lg4!). Der Autor hält das Problem mit dem verschleiernden letzten Einzelzug für besser als ohne ihn, auch wenn argumentiert werden könnte, dass der Inhalt nach 46 Einzelzügen gezeigt sei.”

Retro der Woche 10/2015

Zur Zeit arbeite ich gerade am Preisbericht 2014 für die französische Zeitschrift Phénix, und da ist es auch mal wieder interessant anzuschauen, was dort in der Vergangenheit publiziert wurde.

15 Jahre vor meinem Berichtszeitraum erschien dort unser heutiges Retro der Woche, und diese Aufgabe fasziniert mich immer wieder — euch wird sie auch gefallen, da bin ich mir sicher!

Michel Caillaud
Phénix 1999, 1. Preis
Beweispartie in 25,5 Zügen (15+13)

 

Auch wenn nicht allzu viele Züge direkt offensichtlich erscheinen, können wir den dann nahe liegenden Gedanken „Umwandlungen“ schnell ad acta legen, wenn wir uns die Schlagbilanz anschauen: Bei Weiß fehlt nur die Dame, die offensichtlich auf f6 geschlagen wurde. Für den einzig fehlenden Bauern, [Bb7] bleibt nun kein notwendiges Schlagobjekt, da er wegen des wBb2 nicht auf seiner Linie schlagfrei umwandeln konnte.

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Henrik Juel 70

Heute gehen herzliche Geburtstags-Glückwünsche nach Dänemark, wo Henrik Juel seinen 70. Geburtstag feiert. Henrik ist nicht nur ein sehr guter Komponist, sondern unterstützt auch auf vielfältige andere Weise die Popularisierung der Retroanalyse: So ist er ein viel beschäftigter, hervorragender Redakteur und Preisrichter, so unterstützt er intensiv die PDB und ist auch hier im Blog ein fleißiger Kommentator.

Wenn ihr eine euch bisher unbekannte Beweispartie von Henrik lösen wollt, so haltet Ausschau nach Königsmärschen, selbst wenn die nicht ganz offensichtlich sind. Dies ist jedenfalls eines der Lieblingsthemen des Jubilars, und solch eine Beweispartie möchte ich heute vorstellen:

Henrik Juel
3000 Probleemblad 1996
Beweispartie in 19 Zügen (15+16)

 

Der schwarze König muss nicht nur bis c2 vordringen, sondern auch noch den Job übernehmen, den einzig fehlenden Stein auf desen Ursprungsfeld zu schlagen: 1.c3 h5 2.Dc2 Th6 3.Dh7 f5 4.Kd1 Kf7 5.Kc2 Ke6 6.Kd3 Kd5 7.Ke3 Kc4 8.a3 Kb3 9.Sh3 Kc2 10.Sf4 Kd1 11.h3 Ke1 12.Th2 Kxf1 13.Kf3 Ke1 14.Kg3 Kd1 15.Th1+ Kc2 16.Kh2 Td6 17.Kg1 Td4 18.Kf1 d6 19.Ke1 Le6. Sehr hübsch!

Henrik, ich wünsche dir für dein neues Lebensjahr(zehnt) von Herzen alles Gute und wünsche dir und uns allen, dass du dich weiterhin so großartig in die Retro-Gemeinde einbringst wie bisher!

Retro der Woche 19/2014

Ich hatte kürzlich auf die Online-Verfügbarkeit aller Ausgaben von Thema Danicum hingewiesen und erwähnt, dass dort auch Retros zu finden sind. Hervorragende sogar, wie man an der heutigen Aufgabe sehen kann, die ich dem Preisbericht aus dem allerletzten TD-Heft entnommen habe. Dabei ist anzumerken, dass Retros hier stets zusammen mit den Märchenaufgaben bewertet wurden.

Umso überraschender erscheint dann der erste Preis gegen starke Märchen-Konkurrenz –- vielleicht aber doch nicht so überraschend, wenn man das Thema der Beweispartie und den Preisrichter kennt…

Gianni Donati
Thema Danicum 2006 (für LM), 1. Preis
Beweispartie in 24 Zügen (12+16)

 

Schauen wir uns die schwarze Bauernstruktur an, so sehen wir sofort zwei Schläge (exdxc), ferner muss [wBb2] auf der b-Linie geschlagen worden sein. Wenn wir nun schwarze Züge zählen, so kommen wir bereits auf 24 (3+2+3+5+4+7); dabei müssen wir berücksichtigen, dass sTh3 drei Züge von h8 brauchte; Kreuzschläge auf der g- und h-Linie scheiden wegen des nur noch einen fehlenden weißen Steins aus.

Ebenso stellen wir fest, dass [wBb2] zu Hause geschlagen wurde, da bei den minimalen schwarzen Zugwegen nur sLb2 die b-Linie betreten haben konnte.

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Retro der Woche 01/2014

Für die Zeit des Jahreswechsels, zu dem man ja immer wieder über den Begriff der „Zeit“ nachdenkt, möchte ich euch eine Aufgabe vorführen, die genau diese Frage thematisiert, die ich gleichzeitig als unglaublich witzig empfand, als ich sie zum ersten Male sah.

 

Guy Sobrecases
diagrammes 2010
Beweispartie in 20,5 Zügen (15+14)

 

Das Zählen der Züge des Weißen zeigt, dass er keine Zeit zu verschenken hat: Bedenkt man, dass der einzig fehlende weiße Stein zwei Züge brauchte, dass der wTc8 ja vorher auf b8 gestanden haben muss, dass der [wSg1] dem [wTh1] hat Platz machen müssen, so sieht man, das Weiß seine Züge komplett ausgeschöpft hat.

Anders schaut es bei Schwarz aus: Da ist noch jede Menge frei, selbst wenn einem auffällt, dass wir auch dort einige Rückkehren sehen, denn der wTc8 muss über d8 nach b8 marschiert sein – also haben [sKe8]und [sLc8] Platz machen müssen, sind die beiden zurück gekehrt.

Aber besonders spannend fand ich bei meinen Löseversuchen die Frage, was Schwarz ansonsten, vor allen Dingen am Anfang der Partie gezogen hat, dann davon ist ja gar nichts zu sehen! Versucht euch das einmal zu überlegen, bevor ihr weiter lest!

 

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Retro der Woche 52/2013

Heute möchte ich euch dazu anregen, euch besonders mit den Motiven für ein im ersten Augenblick sehr überraschenden Manöver in unserer Wochen-Aufgabe zu beschäftigen, ein Manöver, das ich im ersten Moment nicht unbedingt erwartet hatte.

Gianni Donati, Olli Heimo & Joose Norri
StrateGems 2010, 3. Preis
Beweispartie in 23 Zügen (13+13)

Wenn ihr die Aufgabe noch nicht kennt, so schlage ich vor, euch die Stellung genau anzuschauen, vielleicht fünf oder zehn Minuten ein wenig analysieren – habt ihr da schon eine Idee, um welches Haupt-Thema es sich handeln könnte und warum es gespielt werden muss?

Wie schon in der letzten Woche kommen wir mit dem Zählen der weißen und schwarzen Züge nicht allzu weit: Bei Schwarz sehen wir nur fünf Bauernzüge, bei Weiß sind es etwas mehr, nämlich immerhin 14 (2+0+0+2+1+9). Auch die Suche nach möglichen Umwandlungen hilft nicht weiter, da noch alle 16 Bauern auf dem Brett stehen.

Wenn wir schon nicht allzu viele Züge im Diagramm sehen können, sollten wir uns mit den Steinen beschäftigen, die fehlen: da alle von Bauern geschlagen wurden, wie man leicht an der Schlagbilanz sieht, müssen sie auch gezogen haben.

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Retro der Woche 50/2013

Manchmal sind anfangs kompliziert ausschauende Retros gar nicht so schwer zu lösen; ich glaube, das heutige Stück ist hierfür ein gutes Beispiel, dass dennoch interessanter und origineller Inhalt gezeigt werden kann.

Ich empfehle diese Aufgabe also ausdrücklich zum Selbst-Lösen!

Dmitri Baibikov
1. FIDE-Turnier 2010, Spezialpreis
Löse die Stellung auf (12+14)

 

Offensichtlich muss wegen des Schachgebots gegen den schwarzen König Weiß mit der Rücknahme beginnen, und dieser Zug war Tc5xXd5+. Darüber hinaus hat es nur einen weißen Schlag gegeben: fxe, womit alle fehlenden schwarzen Steine erklärt sind.

Bei Schwarz erkennen wir vier Schläge (b4xc3, a5xb4, gxf und h5xg4), die auch alle weißen fehlenden Steine erklären. Bei Weiß fehlen [wBa2] und [wBh2], die nicht direkt von den schwarzen Bauern geschlagen werden konnten und daher, da alle weißen Schlagfälle bereits erklärt sind, auf a8 bzw. h8 schlagfrei umgewandelt haben müssen.

Erst nach deren Entwandlung kann Schwarz dann Bh5xXg4 bzw. Ba5xXb4 zurücknehmen und damit den massiven Retroknoten auflösen.

Schwarz kann also noch nicht entschlagen und kann im Moment quasi nur mit dem sLf8 ziehen, besser gesagt zwischen h6 und f8 pendeln; den verdächtigen Zug e6-e5 sollten wir vorsichtshalber nicht sofort verschenken: Vielleicht brauchen wir den noch einmal?!

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WCCC: Champagne-Turnier

Beim WCCC Treffen in Batumi, das heute zu Ende gegangen ist, gab es wie immer mehrere Kompositionsturniere, darunter auch das bereits traditionelle Champagne-Turnier für Retros, das wieder von Michel Caillaud ausgerichtet worden ist.

Michel hat heute bereits in der Retro Mailing List die Ergebnisse veröffentlicht; ich möchte sie hier wiederholen, da die Aufgaben dort nur in Notation angegeben waren.

Thema war Schlag einer Figur nach ihrer Rückkehr (Rundlauf); es waren nur Aufgaben von Kongressteilnehmern zugelassen. Das Turnier war in zwei Gruppen (Gruppe A: Beweispartien, Gruppe B: andere Retros) unterteilt.

In Gruppe A beteiligten sich sieben Autoren mit neun Aufgaben, von denen nur fünf korrekt blieben.

Igor Wereschagin (Version Rustam Ubaidullajew)
Champagne-Turnier Gruppe A, Preis
Beweispartie in 16 Zügen (14+13) C+

1.e3 b6 2.Dh5 La6 3.g4 Dc8 4.Lh3 Lf1 5.Se2 Db7 6.Tg1 Dh1 7.Tg2 Kd8 8.Sg1 La6 9.d3 Kc8 10.Ld2 Kb7 11.La5 bxa5 12.Sd2 a4 13.Tb1 a3 14.bxa3+ Kc6 15.Txb8 Lc8 16.Txc8 Dxg1+.

Zwei Themafiguren (sLc8, wSg1), die schlagfrei zurückkehren.

Gligor Denkovski & Ivan Denkovski
Champagne-Turnier Gruppe A, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 10 Zügen (14+13) C+

1.d4 e5 2.Kd2 Dg5+ 3.Kc3 Dxc1 4.d5 Dg5 5.d6 Dd8 6.Dd5 Se7 7.dxe7 e4 8.exd8=T+ Ke7 9.Txc8 e3 10.Td8 Kxd8.

Auch hier zwei Themafiguren, die beide aufs gleiche Feld zurückkehren; der Turm ist gleichzeitig ein “Donati-Stein” (umgewandelte Figur kehrt auf ihr Umwandlungsfeld zurück).

Gligor Denkovski & Ivan Denkovski
Champagne-Turnier Gruppe A, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 10 Zügen (10+13) C+

1.Sc3 b5 2.Sd5 b4 3.Sxe7 b3 4.Sd5 bxa2 5.Sc3 d5 6.Sb1 axb1=S 7.Txa7 Sxd2 8.Ta1 Sxf1 9.Ld2 Sxd2 10.Kxd2 Txa1.

Ähnlich der vorherigen Aufgabe, aber die Ceriani-Frolkin-Figur wird nicht auf ihrem Umwandlungsfeld geschlagen.

Jonathan Mestel, Allan Bell & Ian Watson
Champagne-Turnier Gruppe A, Lob
Beweispartie in 7 Zügen (13+13) C+

1.a4 d5 2.a5 Lh3 3.a6 Lxg2 4.axb7 Lxf1 5.Txa7 Lh3 6.Ta1 Lc8 7.bxc8=T Txa1.

Hübsch mit Phönix-Turm.

 

 

In Gruppe B beteiligten sich drei Autoren mit drei Aufgaben, die jedoch stets die gleiche Idee zeigten; eine erwies sich als defekt.

Oleg Perwakow, Waleri Gurow &amp Igor Wereschagin
Champagne-Turnier Gruppe B, Sieger
Gewinn (5+12)

1.Lg7 exd6 2.Txf8+ (2.Lxf8? Dg5!) Ke7 3.Txd8 Kxd8 4.Lf6+ (4.Kb8? f5!) Ke8 5.Kb8 (5.Lxe4? d5!) a5 6.Kxc8.

Die acht schwarzen Bauern beweisen, dass Schwarz nicht umgewandelt hat. Der weiße König ist über g7 auf die achte Reihe gelangt, und die schwarzen Figuren müssen gezogen haben, um ihn nach a8 gelangen zu lassen. Daher haben die drei in der Lösung geschlagenen Figuren eine Rückkehr vollführt.

(Die Lösungskommentare habe ich im Wesentlichen von Michel übernommen und ins Deutsche übertragen.)