Retro der Woche 31/2015

„Das kann doch nicht so schwer sein!“ werden sich manche Schwalbe-Löser im Jahre 2004 gedacht haben, als sie die vorliegende Aufgabe sahen. Allerdings hat sich das aus trügerisch herausgestellt, wie einige Löserkommentare zeigten: „An dieser Aufgabe hatte ich — trotz der geringen Zügezahl — am meisten zu beißen.“ oder „Ging dicht an die Grenzen meiner Lösungs-Leistungsfähigkeit und beweist, dass die Schwierigkeit nicht immer proportional mit der Zügezahl zunehmen muss.“ schrieben zwei erfahrene Löser.

Woran liegt die Schwierigkeit?

Klaus Kiesow
Die Schwalbe 2004, Lob
Beweispartie in 11 Zügen (15+12)

 

Sofort fällt auf, dass der bei Weiß einzig fehlende [Bf2] auf h6 gestorben ist. Zwei prinzipiell unterschiedliche Wege führen potenziell zu seinem Tod: direkt (via f4xg5xh6) oder indirekt, indem er sich umgewandelt hat und dann nach h6 gezogen hat. Die dritte Möglichkeit, dass ein weißer Original-Offizier auf h6 geschlagen wurde und der Umwandlungsstein diesen ersetzt, können wir aufgrund der Zügezahl schnell ausschließen.

Betrachten wir zunächst die erste Alternative: Bei Schwarz fehlen die beiden Springer, der [Bc7] sowie der [Lc8], der zu Hause geschlagen werden musste. Lassen sich die beiden schwarzen Springer auf g5 und h6 schlagen, benötigen sie zusammen fünf Züge, darüber hinaus sind noch fünf schwarze Züge im Diagramm sichtbar.

Weiß hat acht Züge Zeit, die beiden schwarzen Steine der c-Linie abzuholen. In vier Zügen kann Sb1 auf c8 sein — das klappt also, wenn er zwischendurch noch den [Bc7] „mitnimmt“. Der aber hat nur einen Zug übrig, müsste also auf c7, c6 oder c5 geschlagen werden. Das allerdings kann bei der Zügezahlbegrenzung bei Weiß nicht klappen, das funktioniere nur, wenn [Bc7] bis c4 ziehen könnte!

Also muss [Bf2] umgewandelt haben — und damit beginnt die Schwierigkeit.

Weiterlesen

Retro der Woche 05/2015

Australien ist sicherlich nicht das Land, das einem beim Nachdenken über „Problemschach- oder Retroländer“ als erstes einfallen würde. Dennoch gibt es auch dort natürlich begeisterte Problemfreunde und Retro-Fans — Peter Wong fällt mir da immer sofort ein.

Das Stück, das ich von ihm heute ausgesucht habe, ist bereits 20 Jahre alt und wirkt auf mich noch immer frisch wie am ersten Tag.

Peter Wong
The Problemist 1995, 2. Preis (R. Meadley gewidmet)
Beweispartie in 21,5 Zügen (15+9)

 

Zählen wir die weißen Züge (bei den schwarzen sieht man bereits schnell, dass dort zunächst nicht allzu viele feststehen — auch, weil insgesamt sieben schwarze Steine fehlen), so kommen wir auf 7+0+3+2+1+2=15. Da fehlen also noch sieben! Schauen wir uns jedoch den schwarzen Doppelbauern auf c7/c6 an, ist klar, dass der fehlende weiße Stein auf c6 mittels b7xc6 verschwand. Im Diagramm fehlt aber bei Weiß nur [Bh2].

Weiterlesen

Retro der Woche 52/2014

Geht es euch auch so wie mir? In dieser eigentlich so ruhigen (wie die Bayern so herrlich, beinahe schon lautmalerisch, sagen: „staaden“) Adventszeit kommt immer wieder Hektik auf: Nicht nur wegen der Vorbereitungen für Weihnachten, sondern auch beruflich kommt dann meist zum Ende des Jahres noch eine Menge zusammen.

Diesen Wechsel aus Hektik und Ruhe finden wir auch in der Aufgabe, die ich euch heute vorstellen möchte – oder an die ich euch erinnern möchte, denn für mich ist dieses schon 30 Jahre alte Stück ein echter Klassiker.

Andrej Frolkin
Thèmes 64 1984, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 14 Zügen (15+15)

 

Zunächst einmal stellen wir fest, dass auf beiden Seiten jeweils genau ein Turm fehlt. Damit scheiden Umwandlungen aus, speziell der sSh1 ist ein Originalspringer.

Also zählen wir die sichtbaren Züge: Das sind bei Weiß 3+2+0+2+1+5=13 und bei Schwarz 0+0+0+0+5+4=9. Gut, bei Schwarz müssen noch drei Turmzüge hinzu kommen, da der fehlende [Ta8] ja auf d3 geschlagen worden ist.

Damit haben wir also 12 schwarze Züge, aber es fehlen immer noch drei Halbzüge. Die Frage ist nun natürlich, wo die sich verstecken.

Weiterlesen

Retro der Woche 19/2014

Ich hatte kürzlich auf die Online-Verfügbarkeit aller Ausgaben von Thema Danicum hingewiesen und erwähnt, dass dort auch Retros zu finden sind. Hervorragende sogar, wie man an der heutigen Aufgabe sehen kann, die ich dem Preisbericht aus dem allerletzten TD-Heft entnommen habe. Dabei ist anzumerken, dass Retros hier stets zusammen mit den Märchenaufgaben bewertet wurden.

Umso überraschender erscheint dann der erste Preis gegen starke Märchen-Konkurrenz –- vielleicht aber doch nicht so überraschend, wenn man das Thema der Beweispartie und den Preisrichter kennt…

Gianni Donati
Thema Danicum 2006 (für LM), 1. Preis
Beweispartie in 24 Zügen (12+16)

 

Schauen wir uns die schwarze Bauernstruktur an, so sehen wir sofort zwei Schläge (exdxc), ferner muss [wBb2] auf der b-Linie geschlagen worden sein. Wenn wir nun schwarze Züge zählen, so kommen wir bereits auf 24 (3+2+3+5+4+7); dabei müssen wir berücksichtigen, dass sTh3 drei Züge von h8 brauchte; Kreuzschläge auf der g- und h-Linie scheiden wegen des nur noch einen fehlenden weißen Steins aus.

Ebenso stellen wir fest, dass [wBb2] zu Hause geschlagen wurde, da bei den minimalen schwarzen Zugwegen nur sLb2 die b-Linie betreten haben konnte.

Weiterlesen

Retro der Woche 14/2014

Zunächst war die Idee aus der Not geboren, nämlich möglichst rasch und trotzdem mit hoher Qualität eine Menge ausstehender feenschach-Preisberichte mit Ersatzrichtern zu erledigen: Dadurch wurde das Richter-Dreamteam Gruber-Ring-Brand geboren.

Wir haben gemerkt, dass das gemeinsame Richten nicht nur effektiv war, sondern gleichzeitig unheimlich viel Spaß machte – und drüber hinaus auch sehr interessante Einblicke in die „Denke“ anderer Richter gab.

Und so haben wir anschließend nicht nur aus der Not heraus, sondern geplant mehrere Turniere (nicht nur für Retros, sondern auch für Hilfsmatt und Märchenschach) gemeinsam gerichtet; dabei haben wir stets die Aufgaben einzeln „bepunktet“ (ähnlich wie beim FIDE-Album) – meist war die Übereinstimmung verblüffend groß. Spannend waren dann eigentlich „nur“ noch die Diskussionen über die Aufgaben, wo die Abweichungen größer waren. Aber immer sind wir zu einer einvernehmlichen Reihung gekommen.

So auch beim feenschach Retro-Informalturnier 2012, aus dem ich heute eine Aufgabe vorstellen möchte, die meiner Meinung nach ideal zum Selbstlösen auch für noch nicht so erfahrene Retrolöser ist: Gerade die geforderte Eindeutigkeit der letzten Züge sollte es noch ein wenig einfacher machen.

 

Gerald Ettl
feenschach 2012 (A. Kornilow in memoriam), 4. Lob
Letzte 24 Einzelzüge? (15+12)

 

Wenn ihr lösen wollt, solltet ihr euch folgende Fragen stellen: Welche Steine fehlen? Wo wurden sie geschlagen? Gab es Umwandlungen, wenn ja: wo? Wie kann der Retroknoten aufgelöst werden? Was ist Voraussetzung dafür?

Weiterlesen

Tempozüge von Ceriani-Frolkin-Steinen

Im neuen Heft 39 der Zeitschrift Quartz (Februar 2014) hat Paul Raican einen interessanten Artikel “Tempo moves by Ceriani-Frolkin pieces” veröffentlicht, den ich euch zum Lesen empfehlen möchte — auch wenn nach meinem Verständnis nicht in allen Fällen von Tempozügen gesprochen werden kann.

Ein Beispiel der 13 dort vorgestellten Beweispartien möchte ich euch hier zeigen:
 

Guy Sobrecases
StrateGems 2011
Beweispartie in 15,5 Zügen (12+13)

 

Lösung: 1.e4 a5 2.La6 a4 3.Ke2 a3 4.Kd3 axb2 5.Sa3 b1=D 6.Lb2 Dc1! Tempo 7.Lxg7 Sf6 8.Kc3 Db2+ 9.Kxb2 Sxe4 10.Tc1 Sxf2 11.Ka1 Sd3 12.cxd3 Ta7 13.Tc6 bxc6 14.Sc4 Lb7 15.a3 La8 16.Lc8 e5.

Überraschender Tempozug der umgewandelten Dame, “Rundlauf des sBb2”.

Retro der Woche 10/2014

In der letzten Woche hatten wir uns einen originellen Platzwechsel weißer Türme angeschaut – heute wollen wir uns mit einem besonders verblüffenden Motiv für einen weißen Springer-Platzwechsel beschäftigen: Tempoverlust!

Nun werdet ihr vielleicht einwenden: „Welch ein Unsinn – Springer können doch kein Tempo verlieren!“ Das stimmt natürlich — aber sie können einen Tempoverlust eines anderen Steins erst ermöglichen, und genau das zeigen die beiden Komponisten aus Buenos Aires hier.

Roberto Osorio & Jorge Lois
Die Schwalbe 2011
Beweispartie in 22,5 Zügen (14+15)

Bei Weiß fehlen [wLf1] und [wBf2], bei Schwarz [sBe7]. Zählen wir nun die sichtbaren Züge, so stellen wir fest, dass alle 22 benötigt werden, um die schwarzen Steine auf ihre Diagrammstellung ziehen zu können (4+2+5+4+4+3=22).

Damit sind auch sofort alle Schlagfälle klar: fxe7 ([sBe7] kann nicht gezogen haben) durch Weiß sowie Lxe7 (nur [sLf8] konnte auf e7 ziehen) sowie hxLg6.

Weiterlesen

Retro der Woche 03/2014

Nachdem ich in der letzten Woche hier den zweiten Preis des 3. FIDE World Cup aus dem Jahr 2013 vorgestellt hatte, möchte ich euch heute wie versprochen das Siegerstück präsentieren.

Die beiden Aufgaben sind vielleicht auch ein gutes „Übungsbeispiel“, um für sich selbst zu überlegen: „Wäre ich der Preisrichter gewesen, welches dieser beiden Stücke hätte ich vor dem anderen platziert – und warum?“ Ich selbst finde es immer recht schwierig, Aufgaben unterschiedlichen Typs in eine vernünftige Reihenfolge zu bringen und auch noch plausibel zu begründen.

 

Roberto Osorio
3. FIDE World Cup 2013, 1. Preis
Beweispartie in 25,5 Zügen (16+13)

 

Hier ist das Zählen der erforderlichen Züge nicht so einfach wie sonst häufig: Wir sehen zum Beispiel den sTh1, der nur dorthin gelangen konnte, wenn der [wSg1] seinen Platz vorher verlassen hatte. Und irgendwie muss ja auch der [wTh1] seinen Platz haben verlassen können. Bauern- Damen- und Läuferzüge bei Weiß sind einfach zu berechnen: Das sind minimal 8+4+2=12; bei den weißen Springern haben wir schon gesehen, dass [wSg1] hat ziehen müssen; wir kommen damit auf mindestens 4 Züge, in Summe also 18. Hierbei sind die Springerwege noch nicht eindeutig festgelegt: Es ist sowohl Sg1-f3-g1 und Sb1-c3-e2 als auch Sg1-e2 und Sb1d2-f3-g1 möglich.

Bei König und Turm ist es noch etwas komplexer: der wTf7 muss ja irgendwie dorthin  gelangt sein. Für [wTh1] wäre der Weg viel zu lang, das ist also der [wTa1]. Dafür gibt es ebenfalls zwei Möglichkeiten, wenn wir sofort den wK in die Überlegungen einschließen: wKe1-d1-c1-b2-a3, Ta1-a8-f8-f7 und Th1-a1 oder 0-0-0, Kc1-b2-a3, wTd1-a1-a8-f8-f7 und wieder Th1-a1. Beide Kombinationen benötigen acht Züge, und damit sind alle weißen Züge erklärt.

Weiterlesen