Retro der Woche 14/2025

Ofer Comay baut, da kann man sich drauf verlassen, stets strategisch anspruchsvolle und interessante Aufgaben, und so habe ich mich sehr gefreut, im Rahmen der Bewertung der Einsendungen zum 12. WCCI mit wieder einige Stücke von ihm intensiver anschauen zu können, die ich bisher noch nicht kannte. Eines davon möchte ich euch heute zeigen.

Ofer Comay
Variantim 2023
Beweispartie in 33 Zügen (14+14)

 

Ein recht langes Stück, und sicherlich kein leicht zu lösendes! Schauen wir zunächst einmal nach offensichtlichen Schlagfällen: Da sehen wir auf bei Weiß einen: axb. Und beide fehlenden weißen Steine wurden von Bauern geschlagen, wir sehen dxe6 und gxf. Bei Schwarz fehlt [Ba7] sowie [Lc8], bei Weiß [Bg2] und [Bh2]. Was bedeutet das für unseren weiteren Vorüberlegungen zur Lösung — was passierte vor allen Dingen mit den fehlenden Bauern? Kann vielleicht Schwarz auf der f-Linie den [Bg2] geschlagen haben?

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Retro der Woche 12/2025

Wieso die Spezialform des Serienzug-Hilfsmatts, mit der wir uns heute beschäftigen wollen, mit dem Attribut “konsequent” beschrieben wird, hat sich mir noch nie so ganz erschlossen. Vielleicht wegen “konsequenter Amnesie”? Jedenfalls definiert sie das Schwalbe-Problemschachlexikon so:
“Ein Serienzüger, bei dem nach jedem Zug die Retroanalyse der Stellung neu durchgeführt wird (also ohne Kenntnis früherer Züge und Analysen). Beispielsweise wird eine Rochade wieder möglich, wenn König und Rochadeturm auf ihre entsprechenden Felder ziehen (weil in der neuen Analyse ‘vergessen’ ist, dass beide bereits gezogen haben).”
Damit sind nette Spielereien mit Mehrfachrochaden möglich — aber auch tiefsinnigere Retro-Überlegungen, wie in dem Stück, das wir uns heute gemeinsam anschauen wollen:

Thierry Le Gleuher
The Problemist 2022, 3. Lob
Konsequentes Serienzughilfsmatt in 31 Zügen (7+11)

 

Weiß hat nach 31 schwarzen Serienzügen ja nur den Mattzug; das schränkt die Möglichkeiten des Mattsetzens schon deutlich ein. Der wLb6 taugt hier zum Mattsetzen überhaupt nicht, da dazu der schwarze König sein Eckfeld verlassen müsste — das aber funktioniert nur ohne den Läufer.

Das einzig vorstellbare Matt ist axb7#. Das aber setzt voraus, dass sTa7 das Mattfeld b7 nicht mehr deckt. Heraus kommt er aber nur, wenn er nicht den wBa6 schlagen will, nachdem wLb6 verschwunden ist. Dann aber muss a7 dem schwarzen König auf andere Weise unzugänglich gemacht werden. Weiß kann das Feld nicht selbst decken, also muss es durch Schwarz blockiert werden. Wer kommt dafür in Frage?

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Retro der Woche 10/2025

Vorgestern hatte ich auf die Ausschreibung des 12. FIDE WorldCup aufmerksam gemacht. Beim 11. hatte ich die Ehre und das Vergnügen, die Retro-Abteilung zu richten; den überlegenen 1. Preis von Joachim Hambros hatte ich im Retro der Woche 36/2023 vorgestellt. Das Stück hat der damals gerade zwanzigjährige Autor jetzt selbstverständlich zum WCCI 2022-2024 eingeschickt — aber natürlich auch noch fünf andere Aufgaben, vor denen ich eine hier vorstellen möchte.

Joachim Hambros
Die Schwalbe 2024
Beweispartie in 18 Zügen (15+15)

 

Auf beiden Seiten fehlt nur jeweils ein Bauer, und das Zählen der sichtbaren schwarzen Züge ist schnell erledigt: vier! Allerdings sieht man, dass der letzte schwarze Zug Sa6-b8+ gewesen sein muss, also mindestens sechs Züge. Das ist aber nur ein Drittel all seiner Züge!

Und bei Weiß?

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Retro der Woche 09/2025

Bei den Einsendungen zum WCCI, der „Kompositions-Einzelweltmeisterschaft“ der Jahre 2022 bis 2024 überwiegen bei den Retros nicht wirklich überraschend die Beweispartien. Natürlich gibt es auch eine Menge Märchenretros zu beurteilen — nicht nur Anticirce-Procas! Und sehr erfreulich finde ich, dass auch gar nicht so wenige sehr schöne „klassische“ Auflöse-Retros dabei sind.

Eines davon, das der eine oder andere von euch sicherlich schon in der Schwalbe gesehen hat, möchte ich heute vorstellen und euch dabei zum Selbst-Lösen einladen, denn ich glaube, das ist genau dazu sehr gut geeignet.

Andrij Frolkin
Die Schwalbe 2022, Lob
Löse die Stellung auf (12+15)

 

Schauen wir zunächst nach der Schlagbilanz: Bei Schwarz fehlt genau der [Bh7]; Weiß hat axb geschlagen, also sicher nicht diesen fehlenden Bauer. Das muss sich also (auf g1 ) umgewandelt haben. Dann kommt sBc5 offensichtlich von e7, sodass nur noch ein Schlag durch Schwarz offen ist. Es fehlt bei Weiß noch [Bf2] – und der wurde auf der f-Linie geschlagen.

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Retro der Woche 02/2025

Eine meiner Lieblings-Märchenbedingungen ist „monochromes Schach“: Weil einerseits die Bedingung quasi mit einem Satz erklärt werden kann („Es sind stets nur Züge erlaubt und legal, deren Ausgangs- und Zielfeld von gleicher Farbe sind; Rochaden gelten als Königs- und Turmzug.“), sie gleichzeitig aber unglaublich tiefsinnige Aufgaben erlaubt.

Gerade „monochrome Retros“ besitzen häufig in „einfacher“ Stellung unerwartete Tiefe, wie vor allem die Spezialisten Thierry Le Grleuher und René J. Millour schon vielfach gezeigt haben. Heute möchte ich ein solches Stück aus dem 2022er Retro-Preisbericht der Schwalbe vorstellen.

Thierry Le Gleuher
Die Schwalbe 2022, 2. ehrende Erwähnung
Wo wurde sTa8 geschlagen? Monochromes Schach (8+5)

 

Aus der Definition ergibt sich beispielsweise sofort, dass Springer nie ziehen können, dass eine lange Rochade niemals möglich ist, dass ein Bauer mindestens vier Schläge bis zur Umwandlung benötigt.

Auch für Türme können wir wichtige Aussagen treffen: Weiße Türme können nur auf ungerade, schwarze nur auf gerade Reihen ziehen, bei Umwandlungstürmen ist es genau anders herum. Wir können also im Diagramm für jeden Turm eindeutig entscheiden, ob er durch Umwandlung entstanden oder der Originalstein ist.

So fällt hier also sofort auf, dass wTg4 erwandelt wurde, was allein schon vier Bauernschläge auf weißen Feldern erfordert hat.

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Retro der Woche 52/2024

Neben den bekannten Typen „Proca“ und „Høeg“ gibt es noch eine dritte, recht seltene Art des Verteidigungsrückzügers: Den „Pacific Retractor“. Der hat erst einmal nichts mit dem Ozean zu tun, allerdings stammen beide Begriffe vom lateinischen „pax“ – Friede ab.

Der Lösungsverlauf eine Pacific Retractors ist völlig schlagfrei – im Rückspiel darf nicht entschlagen, im abschließenden Vorwärtsspiel nicht geschlagen werden. Damit passt er doch ganz hervorragend in die (hoffentlich friedliche!) Weihnachtszeit. Aktuell, im gerade erschienen Dezemberheft der Schwalbe, wurde ein Exemplar dieses seltenen Spezies mit dem ersten Preis im Informalturnier des Jahres 2022 ausgezeichnet; dieses Stück möchte ich euch gern vorstellen.

Vlaucu Crisan & Joaquim Crusats
Die Schwalbe 2022, 1. Preis
#1 vor 28 Zügen, Pacific Retractor (7+10)

 

Den zweizügigen Hauptplan zu finden ist nicht sonderlich schwer: die Halbbatterie sticht doch deutlich ins Auge. : R 1.Kd2-e2 e4-e3+ 2.Le2-d1 & 1.f4#?? Kh4! Wenn wir es schaffen, dieses Feld zu blocken oder zu decken, sind wir ja „schon“ fertig.

Das lässt sich mit R 1.Kd2-e2 e4-e3+ (1. Mal) 2.Ke3-d2 Le1-f2+ 3.Kd2-e3 Lf2-e1+ (2. Mal) 4.Ke3-d2 Le1-f2+ 5.Kd2-e3 e2-e1=L+ (wegen der Illegalität dreifacher Zugwiederholung erzwungen) 6.Ke1-d2 Th2-h1+ 7.Kf1-e1 e3-e2+ (1. Mal) 8.Ke2-f1 Th1-h2+ 9.Kf1-e2 Th2-h1+ (2. Mal) 10.Ke2-f1 Th1-h2+ 11.Kf1-e2 h2-h1=T+ (erzwungen) 12.Kg2-f1 h4-h3+ 13.Le2-d1 & 1.f4# – fertig!?

Aber Schwarz hat eine Vorwärtsverteidigung: 6.– Th2-h1+ & 1.– e:d1=D,T/1.– Da5# – also benötigen wir einen weiteren Vorplan, der diese Verteidigungsmöglichkeiten des Schwarzen verhindert, nämlich diese Matts ausschaltet.

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Retro der Woche 51/2024

In der letzten Woche hatte ich auch über das FIDE-Album 1992 – 1994 gesprochen mit der recht niedrigen Auswahl an Retros, speziell an Beweispartien. Die in diesem Album höchstbepunktete (4+4+2,5=10,5) Beweispartie habe ich hier noch nicht gezeigt; das will ich heute nachholen.

Unto Heinonen
Die Schwalbe 1993, Andrej Frolkin gewidmet, 4. Preis
Beweispartie in 26,5 Zügen (13+13)

 

Zählen wir zunächst einmal die sichtbaren Züge, auch wenn das nicht allzu viele sind: Bei Weiß sehen wir 0+0+3+0+1+2=6, bei Schwarz 3+0+2+2+1+3=11: Mal wieder erschreckend wenig; wenn wir allerdings uns auch die fehlenden Steine anschauen, können wir wieder Mut schöpfen: Bei Schwarz und bei Weiß fehlen jeweils genau drei Bauern – da kommen uns doch sofort Umwandlungen in den Sinn?

Betrachten wir also die Bauernstrukturen näher: Bei Schwarz sehen wir drei Schläge, nämlich e7xd6, ferner ist sBd5 der [Bb7] oder der [Bf7]. Bei Weiß ist ebenfalls exd3 klar, wBg3 kann allerdings [Bf2] oder [Bh2] sein. Können wir diese beiden „offenen Bauern“ schon näher bestimmen?

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Retro der Woche 48/2024

In der letzten Woche haben wir einen Blick zurück auf die Schwalbe geworfen, haben wir uns eine Aufgabe angeschaut, die dort vor 100 Jahren nachgedruckt wurde. Heute will ich euch eine Aufgabe zeigen, die in der Schwalbe vor 30 Jahren erschienen ist, die dort eine hohe Auszeichnung erhalten hat in einer Zeit, als die eindeutigen Beweispartien zu ihrem Siegeszug durch die Retrowelt angetreten hatten.

Moderne Thematik in schon sehr ausgeklügelter Form, als noch nicht daran zu denken war, so etwas per Computer auf Korrektheit zu prüfen.

Unto Heinonen
Die Schwalbe 1994 2. Preis
Beweispartie in 31,5 Zügen (14+14)

 

Schon beim ersten Hinschauen aufs Diagramm stellen wir fest, dass beide Seiten weit davon entfernt sind, mehr als 30 offensichtliche Züge gemacht zu haben. Also haben wir schnell die Vermutung, dass wir es hier mit Umwandlungen zu tun haben könnten?

Dieser Verdacht wird noch gestärkt, wenn wir sehen, dass beiden Parteien exakt zwei Bauern fehlen und sonst nichts. Zwei Umwandlungen könnten natürlich für eine Menge zusätzlicher, nicht direkt sichtbarer Züge sorgen.

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