Retro der Woche 50/2020

„Sichtbare Umwandlungssteine sollte man bei Beweispartien im Diagramm vermeiden.“ Ist ein häufig geäußertes „Glaubensbekenntnis“ vieler Retrofreunde; für sie werten solche Steine eine Aufgabe fast automatisch mehr oder weniger ab.

Darüber kann man diskutieren – aber wohl kaum über eine Ergänzung dieses Satzes: „— außer sie sind thematisch.“

Eine bemerkenswerte Aufgabe, in der die Umwandlungssteine thematisch sind, möchte ich euch heute zeigen.

Unto Heinonen
Probleemblad 2008, 1. Preis
Beweispartie in 39,5 Zügen (14+13)

 

Üblicherweise bin ich – nicht mal so sehr wegen der Umwandlungssteine – kein besonderer Freund solcher „formalen“ Themen, deren Reiz häufig im Wesentlichen in der Diagrammstellung, aber weniger in der Lösung liegen. Hier aber sieht es anders aus, denn es ist beeindruckend, wie neun(!) umgewandelte Bauern als Damen ihren Weg zurück auf ihr Ausgangsfeld finden.

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Retro der Woche 47/2020

Manchmal benötigt die Angabe der reinen Forderung einer Aufgabe noch zusätzliche Informationen, um sie besser in ihren Kontext einordnen zu können; so ist es mit dem nun schon über 70 Jahre alten Stück, das ich heute vorstellen möchte, auch.

Hugo August & Karl Fabel
Revista Română de Şah 1949
Letzte 16 Einzelzüge? (16+12)

 

Aber untersuchen wir zunächst die Stellung, um die letzten Einzelzüge zu identifizieren:

Schwarz hat offensichtlich keinen letzten Zug, Weiß muss daher mit der Rücknahme beginnen. Wir sehen bei Weiß auch schnell die vier Schläge: hxg sowie dxcxbxa, damit [Bd2] auf a8 in die zweite auf dem Brett stehende Dame umwandeln konnte.

Hierbei müssen wir berücksichtigen, dass Schwarz ständig vom Retropatt bedroht ist, dass ihm die Züge auszugehen drohen.

Also müssen wir dafür sorgen, dass der offensichtliche Umwandlungsläufer auf h1 möglichst rasch entwandeln kann.

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Retro der Woche 46/2020

Ein wichtiges Ziel beim Komponieren von Beweispartien ist für viele, in der Diagrammstellung möglichst wenig von Inhalt und Thema zu verraten; dies ist etwa der Hauptgrund für die Beliebtheit von Umwandlungsthemen, bei denen der Umwandlungsstein oder sein „originales Gegenstück“ verschwindet. Ähnlich ist es mit Platzwechseln, Rundläufen und Rückkehren, ähnlich ist es mit „Betrüger-Steinen“, die den (falschen) Anschein erwecken, als stünden sie schon ursprünglich auf diesem Feld (als Bauer: kämen sie von dieser Reihe), kommen aber von einem anderen Feld, einer anderen Reihe.

Wenn ihr die heutige Beweispartie gelöst oder durchgespielt habt, möget ihr doch für euch entscheiden, ob die Autoren beim Komponieren auch dieses Ziel vor Augen hatten — ob sie es dann erreicht haben?

Etienne Dupuis & Michel Caillaud
Probleemblad 2000
Beweispartie in 20 Zügen (13+14)

 

Zählen wir zunächst die sichtbaren Züge, so entdecken wir bei Weiß gerade einmal drei (bxc3 sowie Lf1-h3-g4). Bei Schwarz sind es einige mehr: 1+2+0+1+2+8=14.

Merkwürdige Zählerei bei Schwarz für Läufer und Bauern? Nun, [Lc8] wurde offensichtlich zu Hause geschlagen (dafür brauchen wir natürlich weitere Züge von Weiß!), Le4 ist also ein offensichtlicher Phönix, muss also durch Umwandlung entstanden sein. Und minimal hat er anschließend einen Zug gemacht, um nach e4 zu kommen.

Es fehlt nur ein schwarzer Bauer, der [Lc8] durch Umwandlung ersetzt haben kann: [Bh7].

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Retro der Woche 45/2020

Heute möchte ich euch wiederum ein klassisches Retro vorstellen — im Gegensatz zum Retro der Woche 42/2020 allerdings aus schon beinahe klassischer Zeit. Ein bedeutender Komponist solcher klassischer Auflöseaufgaben war der Ukrainer Alexander Kisljak (27.12.1938—5.5.2010), von dem ich hier schon verschiedene Aufgaben vorgestellt habe: Die Suchfunktion ist dein Freund!

Das folgende Stück erhielt beim Informalturnier der sehr angesehenen Zeitschrift Schachmati w SSSR vor 35 Jahren den ersten Preis und kam dann auch mit 10 Punkten ins FIDE-Album.

Alexander Kisljak
Schachmati w SSSR 1985, 1. Preis
Matt? (14+11)

 

Beginnen wir gleich mit den Standard-Betrachtungen einer solchen Stellung, bei der natürlich nicht erwartet wird, dass man einfach mit „ja!“ oder „nein!“ löst: Natürlich geht es um die Auflösung der Stellung — und heute würde man vielleicht einfach nach den, wie wir sehen werden, letzten 35 Einzelzügen fragen.

Zwei weiße Bauernschläge sind sichtbar: axb sowie d2xc3 — dieser Zug muss zurückgenommen werden, um den Knoten im Norden auflösen zu können, denn dafür muss sKc4 wegziehen können, um im Endeffekt den wK einen Zug zurücknehmen lassen zu können. Ferner wurde offensichtlich [Lc8] zuhause geschlagen; damit sind noch zwei Schläge durch Weiß offen.

Bei Schwarz ist nur cxb sichtbar — andererseits fehlen bei Weiß [Bg2] und [Bh2], sodass mindestens einer dieser Bauern umgewandelt hat, der dabei auch mindestens einmal geschlagen haben muss – nur noch ein Schlag ist frei.

Nun wollen wir uns anschauen, welche Steine denn eigentlich nach dem offensichtlichen R 1.Sb5-a3# (mit oder ohne Schlag?) Züge zurücknehmen können?

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Retro der Woche 44/2020

Kürzlich ist der Preisbericht der feenschach-Retro-Urdrucke des Jahres 2016 erschienen; Preisrichter Thierry Le Gleuher vergab nur einen einzigen Preis — und dieses Stück ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

Andrej Frolkin
feenschach 2016, Preis
Beweispartie in 20,5 Zügen (13+12)

 

Sofort fallen in dieser eigentlich recht kurzen Beweispartie im Diagramm gleich drei Umwandlungssteine auf: eine schwarze Dame sowie ein weißer Turm und Läufer, wobei die beiden weißen auch noch auf ihren potenziellen Umwandlungsfeldern stehen.

Versuchen wir, die Züge zu zählen, dabei lassen wir die beiden weißen Steine auf der 8. Reihe einfach aus und bewerten sie mit 10 Zügen für die beiden Umwandlungen. Darüber hinaus sehen wir 2+1+2+0+0+1=6 — mit den „zehn im Sinn“ bleiben noch fünf weiße Züge frei: Das ist eine Menge!

Setzen wir bei Schwarz die Rochade voraus und gehen davon aus, dass sDb2 umgewandelt hat, so sehen wir 2+8+1+0+5+2=18 Züge – „nur“ zwei Züge sind hier frei.

Da die Bauernstruktur keine direkten Hinweise auf Schläge gibt, müssen wir nun nach anderen Stellungsmerkmalen Ausschau halten, die uns der Lösung näherbringen.

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Retro der Woche 42/2020

Klassische Retros sind in den letzten Jahren in den Urdruckteilen der Problemzeitschriften leider ziemlich rar geworden, wie ich auch in der Schwalbe immer wieder feststellen muss. Um so erfreulicher finde ich, dass sich Gerald Ettl in der letzten Zeit intensiv mit klassischen Auflöse-Aufgaben beschäftigt und mit seinen Urdrucken besonders feenschach beglückt. Allerdings, ich gebe es zu, würde ich mich auch welche für Die Schwalbe freuen…

Einen dieser feenschach-Urdrucke aus dem letzten Jahr möchte ich heute vorstellen:

Gerald Ettl
feenschach 2019
Letzte 32 Einzelzüge? (14+14)

 

 

 

 

Sofort fallen im Diagramm zwei Umwandlungssteine auf: Weiß verfügt über drei Springer, und sLa1 muss natürlich umgewandelt haben und entstand schlagfrei aus [Ba7], da die beiden fehlenden weißen Steine mittels cxb und exf verschwanden.

Damit ist der erste Rückzug schon klar: Der weiße König steht im Schach, also muss Schwarz mit der Rücknahme und Aufhebung des Schachgebots beginnen. Dabei kann er nicht entschlagen, da ja die beiden Schlagfälle von Schwarz durch seine Bauern durchgeführt wurden.

Aber viel wichtiger ist ja die Frage, wie der Ost-Käfig aufgelöst werden kann? Der kann nur durch Kg4-h4 aufgelöst werden – das aber bedarf umfangreicher Vorbereitung.

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Retro der Woche 36/2020

In den letzten Wochen habe ich, auch in „Geburtstags-Beiträgen“, gelegentlich Hilfsrückzüger vorgestellt: Hier gilt es, Züge zurückzunehmen, sodass eine Vorwärtsforderung erfüllt werden kann, dabei kooperieren bei der Rücknahme Schwarz und Weiß, auch wenn sich im Vorwärtsspiel Schwarz verteidigen will.

Gelegentlich wird nur die Rücknahme eines weißen Zuges gefordert; hierbei kommt der „Hilfe“-Aspekt durch Schwarz natürlich nicht zum Tragen, dennoch verwendet man auch hier diesen Begriff, da Weiß hier aus retroanalytischer Sicht mehrere Rücknahmen zur Verfügung stehen, aber nur eine die Realisierung der Vorwärtsforderung erlaubt.

Walentin M. Filippow
Problem 1972, 1. Lob
-w, dann #2 (8+10)

 

Solch ein Stück wollen wir uns heute anschauen. Wäre Weiß nun in dieser Stellung am Zuge, könnte er 1.Lxa7 ~ 2.b8=D# versuchen – das aber scheitert an 1.— 0-0! Das bringt uns auf den Gedanken zu überlegen, wie wir die schwarze Rochade retroanalytisch verhindern können?

Da könnte wLb8 ein Ideengeber sein: Wenn wir nachweisen könnten, dass er Umwandlungsläufer ist, können wir vielleicht zeigen, dass er dann auf h8 entstanden ist – das würde erfordern, dass [Th8] bereits gezogen und damit das Rochaderecht verwirkt hätte. Also sollten wir zeigen können, dass vor kurzer Zeit auf d2 noch ein weißer Bauer gestanden hat.

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Retro der Woche 34/2020

Am letzten Donnerstag habe ich hier Günther Weeth zum Geburtstag gratuliert, und heute möchte ich noch eine Aufgabe von ihm vorstellen. Dazu habe ich eine schon etwas ältere herausgesucht, die zeigt, dass Günther sich schon lange auch mit klassischen Retros beschäftigt.

Günther Weeth
Die Schwalbe 1993
-(s+w) +#1, Hilfsrückzüger (14+7)

 

Erst Schwarz, dann Weiß nehmen also einen Zug zurück, sodass Weiß in seinem Vorwärtszug mattsetzen kann – natürlich unter Berücksichtigung der Legalität der Züge.

Begeben wir uns also, wie wir das auch beim Lösen eines Hilfsmatts tun würden, auf die Suche nach dem möglichen Mattbild: Könnte c2 gedeckt werden, könnte Txe3# erfolgen – aber dafür brauchte es zwei weiße Rücknahmen – das funktioniert also nicht.

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