Retro der Woche 16/2024

Auch unter den Partieschächern erlebt Schach-960 – heute gelegentlich unter den kuriosesten „Marketing-Namen“ – eine Renaissance, und attraktive Probleme mit dieser „orthodoxen Bedingung“ (die Regeln sind in den offiziellen FIDE Schachregeln definiert) gibt es sowieso. Eines davon möchte ich euch heute vorstellen. Wir erinnern uns an die Regeln für die Partieanfangsstellung (PAS): Die erste Reihe wird mit den acht weißen Offizieren zufällig besetzt mit den Einschränkungen, dass die Läufer auf Feldern unterschiedlicher Farbe und der König irgendwo zwischen den Türmen steht. Ansonsten ist es „orthodoxes Schach“, selbst mit unveränderten Rochaderegeln. Die schwarzen Offiziere stehen dann spiegelsymmetrisch.

Bei Beweispartien muss normalerweise die PAS abgeleitet werden – also wie schon in der letzten Woche allerdings völlig andere Synthese aus Retroanalyse und Beweispartien.

Per Olin
Die Schwalbe 2020, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 19,0 Zügen, Schach-960 (16+16)

 

(Bei der Lösungsangabe habe ich mich an der des Autors orientiert.)
Zählen wir die minimale weiße Zügezahl nach Gruppen:a) Bauern 2, b) Springer 4, c) die Diagonalfiguren D, L, L: g2-g3 kommt vor f2-f3, was dem weißen weißfeldrigen Läufer den Zug ermöglicht. f3 mobilisiert den schwarzfeldrigen Läufer; der schwarze Zug b6 muss geschehen, bevor der wL nach b7 kommt. Den wL in einem einzigen Zug nach b7 zu ziehen, bevor f3 und nachdem b6 gespielt wurden, würde die Wege für wD nach a6 und/oder wL nach c7 zu sehr verlängern; daher kommt der Läufer in mindestens zwei Zügen nach b7, und dies geschieht, nachdem wD und wLc7 ihre Diagrammfelder erreicht haben. Das schwarze c5 muss erfolgen, wenn der schwarzfeldrige wL auf b6 steht, und dem muss wD a6 vorausgehen. Der wSh5 und der weißfeldrige Läufer haben auf f1 und h1 gestanden, so dass e1 und g1 für wD und wden anderen wL übrig bleiben. Die Figur, die auf g1 beginnt, braucht zwei Züge und die Figur, die auf e1 beginnt, drei Züge. Dies ergibt ein Minimum von 7 Zügen für die diagonalen Figuren. d) K, T, T: Da bei minimaler Zugzahl die vier Felder e1-h1 die Anfangsfelder der drei Diagonalfiguren und wSh5 sind, beginnen der König und die Türme irgendwo auf a1-d1. Weiß spielt die g-Rochade, zieht den König nach e3, Tf1-f2; nach g2 zieht der andere Turm, der auf der linken Seite des Königs begann. Das bedeutet mindestens 6 Züge, so dass die Gesamtzahl der Züge gemäß unserer Rechnung 2+4+7+6=19 beträgt – alle weißen Züge sind erklärt.

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Retro der Woche 19/2023

Bleiben wir noch etwas beim Blick in die Vergangenheit: In dieser Woche ist die Mai-Ausgabe des Problemist zunächst elektronisch erschienen; die Papierfassung kommt dann sicherlich in den nächsten Tagen.

Darin findet sich ein schon lange ausstehender Preisbericht: Der Retro-Bericht für die Jahre 1999-2000. Nachdem feststand, dass er ursprünglich vorgesehene Richter den Bericht nicht erstellen könne, hat der damalige Sachbearbeiter Cedric Lytton die Aufgabe übernommen — und die musste dann zusätzlich noch eine Weile auf die Veröffentlichung warten…

Heute möchte ich die bestplatzierte Beweispartie, sie landete auf Platz vier im Gesamtklassement, vorstellen.

Thierry le Gleuher
The Problemist 1999-2000 (1/2000), 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 18,5 Zügen (15+15)

 

Sofort fällt der dritte weiße Springer auf f8 im Diagramm auf — damit wissen wir auch schon, was mit [Be2] geschehen ist. Und schauen wir dann gleich nach den fehlenden Steinen: Bei Weiß wurde nur [Lf1] geschlagen, bei Schwarz nur [Be7], und der sicher nicht durch [Be2], da dies ja einen zweiten Schlagfall des Bauern erfordern würde, der aber nicht vorhanden ist.

Bei Weiß lohnt es nicht, Züge zu zählen, bei Schwarz schon: 3+1+5+2+3+4=18 — damit sind alle schwarzen Züge sichtbar.

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Retro der Woche 30/2019

In der letzten Woche hatten wir hier eine Auflöse-Aufgabe von Andrej Frolkin und Joaquim Crusats betrachtet, heute möchte ich euch eine Beweispartie von Andrej zeigen, die im Schwalbe-Informalturnier 2016 von Preisrichter Henrik Juel die erste ehrende Erwähnung erhielt und die mir schon bei der Veröffentlichung sehr gut gefallen hatte.

Andrej Frolkin
Die Schwalbe 2016, 1. Ehrende Erwähnung
Beweispartie in 23.5 Zügen (12+15)

 

Sofort fällt bei Weiß der Platzwechsel von Läufer und Turm auf, und auch bei Schwarz ist in dieser Hinsicht offensichtlich etwas passiert: Springer, Dame, Läufer und Turm haben zyklisch „jeweils zwei Felder nach rechts“ (wobei der Turm natürlich „links“ landet) ihre Plätze getauscht. Das ist sehr hübsch und hilft meistens beim Lösen.

Für die Lösungsfindung ist aber auch die Schlagbilanz wieder sehr hilfreich: Schwarz hat drei der vier fehlenden weißen Steine mit den Bauern b6, c6 und d6 geschlagen. Irgendwie müssen aber neben der weißen Dame auch die [Be2], [Bf2] und [Bg2] verschwunden sein.

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Retro der Woche 05/2019

In der letzten Woche hatte ich hier einen Verteidigungsrückzüger aus dem Preisbericht von Phénix 2015-2016 gezeigt, heute will ich die bestplatzierte Beweispartie in diesem sehr stark besetzten Turnier vorstellen.

Jorge J. Lois & Roberto Osorio
Phénix 2015-2016, 2. Preis
Beweispartie in 19 Zügen (13+14)

 

Bei Aufgaben des argentinischen Duos kann man immer davon ausgehen, dass man guten Inhalt technisch perfekt dargestellt zu sehen bekommt. Und so viel darf ich schon verraten: So ist es auch hier!

Mit dem üblichen Zählen der im Diagramm sichtbaren schwarzen Züge sind wir sehr schnell fertig: 0+0+0+1+0+3=4. Irgendwelche zusätzlichen Züge wegen eventueller Umwandlungen durch Schwarz können wir auch hier natürlich ausschließen, da noch alle acht schwarzen Bauern an Bord sind.

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Retro der Woche 29/2015

Beweispartien mit „Homebase“ Diagrammstellungen, wo also zumindest eine Seite all ihre Steine in der Partieanfangsstellung stehen hat, wirken auf mich immer besonders attraktiv, denn eigentlich müsste diese Partei ja gar nicht ziehen!

Aber davor kann sie sich ja nicht drücken — und häufig ist es auch erforderlich zu ziehen, nämlich um etwa einige eigene Steine aktiv loswerden zu können. So auch bei dem Stück, das ich heute ausgewählt habe.

Michael Barth
Die Schwalbe 2012, 3. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 19 Zügen (12+15)

 

Bei Weiß fehlen vier Bauer, alle anderen weißen Steine stehen auf passenden Feldern der Partieausgangsstellung — das muss ich so vorsichtig formulieren, denn theoretisch könnten ja auch die Springer oder gar die Türme ihre Plätze getauscht haben.

Bei Schwarz fehlt nur ein Bauer, und es sind keine Doppelbauern vorhanden, die etwas über das Verschwinden der fehlenden weißen Bauern verraten könnten.

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